Geistes voller Bilder“
(Augustinus)
Von Beobachtung leben: In Bildern sein jenseits einer Wirklichkeit,
die noch zerstreut werden könnte
Bernd Ternes
I Fragen
Taucht man in ein Thema ein, ereignet sich meist
etwas, das vergleichbar ist dem Moment, in dem man von voller Helligkeit des
Raumes in plötzliche Schwärze der Dunkelheit oder umgedreht wechselt: Die Zeit
der Pupillenanpassung an die neuen Licht- oder Dunkelverhältnisse ist eine, in
der man kaum bis gar nicht zu sehen vermag. Das Synonym fürs Ein- und
Ausschalten des Lichtes hier könnte einfach sein, daß man sich einen Begriff
länger als gewohnt anschaut und dann feststellen muß, daß sich nichts so
feststellen läßt, wie man es bei gewohnter Betrachtung glaubte erwarten zu dürfen.
Fragt man nach Bildern und deren Bedeutung, deren
Macht und Realitätsstatus; fragt man danach, ob nach der „Bildung als
Überlebensmittel“[1]
nun den Bildern dieser Mittelstatus zugesprochen werden muß; fragt man danach,
ob die Zunahme von Medien zur Produktion, Generierung und Konsumtion von
Bildern einen qualitativen Wechsel der Realitäten von Räumen bewirkt[2]: Dann
tuen sich fürs erste schon vier verschiedene
Perspektiven auf:
1.
Man fragt nach den Produktionsbedingungen und den
Techniken der Bilder, also nach ihrem infrastrukturellen und ökonomischen
Kontext ihrer Ermöglichung.
2.
Man fragt nach den Rezeptionsweisen, nach den
Rezipienten der Bilder und zugleich nach der Bedeutung des Bilderrezipierens
für die Betrachter/Konsumenten.
3.
Man fragt nach der Bedeutung der Bilderproduktion
und -konsumtion für die Gesellschaft, speziell nach der Bedeutung für die ökonomische, symbolische und kulturelle
Reproduktion einer Gesellschaft. Und man fragt
4.
nach historischen und gesellschaftstrukturellen
Referenzen resp. Indizes, um womöglich Trends, Entwicklungen bzw. Brüche in den
Beschreibungen der Bilderbedeutungen für die Bilder selbst, das Individuum und
die Gesellschaft aufzufinden. Der Zweck solchen Auffindens? Um das Gespräch
darüber, wie die Verhältnisse zwischen äußerer und innerer Natur des Menschen,
zwischen Mensch und Gesellschaft und zwischen Gesellschaften zu verstehen sind,
fortzusetzen.
Man kann sich den Fragen, was Bilder sind, welche
Realität sie besitzen, wie man in ihnen zu leben vermag, und welche Bedeutung
andere, nichtbildliche Wirklichkeiten haben, auch anders nähern, vielleicht
etwas philosophischer oder mit Fragestellungen weniger soziologischen und dafür
mehr anthropologischen Zuschnitts.
Der Titel des Potsdamer Symposiums im November
1997, Was ist ein Bild?, ließ wohl
nicht zufällig an eine andere, sehr bekannte Frage erinnern, nämlich: Was ist
der Mensch? - Daß im einen Fall der unbestimmte, im anderen der bestimmte
Artikel benutzt wurde, tut, denke ich, hier nichts zur Sache. Kants vierte
Frage hatte zusammenfassenden Charakter und war zugleich die ranghöchste; denn
letztlich sind die erste Frage (Was kann ich wissen?) und deren
Beantwortungsinstanz (Metaphysik) ebenso wie die zweite (Was soll ich tun?; Moral) und dritte (Was darf ich hoffen?; Religion) zu
sich kommend in der Frage nach dem Menschen und der dafür ausgesuchten Instanz
Anthropologie. Der Frage-Antwort-Radius der Anthropologie sei letzlich derjenige, in dem die weltbürgerliche Bedeutung
der Philosophie und die Bedeutung der Kräfte menschlicher Vernunft eingefasst
zu werden haben.
Welchen Fragen könnte Was ist ein Bild? als abschliessende und
zusammenfassende Frage voranstehen? Mit einer später zu erläuternden
Modifikation der vierten Frage könnten die Fragen so gestellt werden:
Wie funktioniert Erinnerung?
Gibt es in der Zeit der Gegenwart Erfahrung?
In welcher Wirklichkeit bin ich in der Welt?
Welche Realität haben Bilder?
Neben der weitläufigen Definitions- bzw.
Einschränkungsnotwendigkeit für die Begriffe Erinnerung, Erfahrung, Wirklichkeit und Realität und neben der Notwendigkeit, orthogonal zu den möglichen
Aussageradien der Fragen die Begriffe zusätzlich zu temporalisieren, und nicht
zuletzt neben der Notwendigkeit, das unübersehbare Verhältnis zwischen
Körperbildern im Blick, den Körpern vor dem Blick der anderen und den Körpern
als zeichenlose „Seins- oder Habensweisen“ in Ansätzen etwas zu entwirren[3],
ergeben sich ohne Mühe weitere Perspektiven und Fragen, die sich sowohl auf die
Thematik bzw. auf den Verwendungszusammenhang von Bildern als auch auf den
Begriff des Bildes beziehen. Thematische Unterscheidungen:
·
Bilder als Möglichkeit, zu sehen ohne
wahrzunehmen.
·
Vom Zwang, von Beobachtung zu leben.
·
Bilder als Vereinfachung der Gewißheit, ob man
noch erinnert (ex-negativo).
·
Abbilder auf dem Weg, selbst dasjenige zu werden,
was abgebildet wird.
·
Vom Platzen der strukturellen Indifferenz der
Bilderrezeption, ob sie eigener oder anderer Erfahrung gehören.
·
Bilder als Bildner von Zerstreuungsformen.
·
Bilder als Friedhof für die gesellschaftsökonomisch
Überflüssigen in den G-7-Kulturen.
·
Vom gegenwärtigen letzten Versuch,
Bilderwirklichkeiten zu berühren.
·
Bilder als verlockende Massengräber für die
Präsenz in der Zeit.
·
Gedächtnisbilder als Aufbewahrung von Zukunft für
eine nicht mehr gegenwärtige Vergangenheit.
·
Sind Bilder durch ihre perfekte
Infrastrukturierung geeignet, den sozial interagierenden Menschen als
historisch überfällige Wirklichkeitsform abzulösen?
·
Gibt es einen wirklichen Unterschied zwischen den telematischen Bildern und solchen, die wir uns mit Beginn
der Ontogenese machen müssen, um zu leben?
·
„How to
do things with pictures“: Ist
Bildersehen und -machen Handlung?
Unterscheidungen im Begriff Bild: Welche Bilder
sind gemeint:
·
Bilder, die in der (nicht nur) kognitiven
Entwicklung des Kindes qua Akkommodation und Assimilation notwendig entstehen
für Objektkonstanz, Bewegungszuschreibung und Identifizierung?
·
Bilder, die mit unserem permanenten Dasein uno actu im Gehirn erzeugt werden
aufgrund visuell ´erzeugter´ Strom(aktions)potentiale
auf der Netzhaut?
·
Bilder des Gedächtnisses und
·
Bilder des Traumes?
·
Bilder der Kunst, also solche mit Rahmen und
künstlerischer Codierung?
·
Bilder der audiovisuellen und literarischen
Infrastruktur (Fernsehen, Kino, Computer, Zeitschriften, Reklame), also
fiktive, dokumentarische, binär digitalisierte, „phantomatische“
Bilder?
·
Bilder der Unterstellung, der Antizipation, der
Prospektion?
·
Bilder, die dezidiert Effekte sind des Schmerzes,
des Leids, der Angst und des Todes?
Es sind der Fragen zuviele.
Sie jeweils zu beantworten führte zu weit.[4] Wie
es aussieht, ist der Zustand zu großer oder zu kleiner Pupillen, also die Zeit
kurz vor der Anpassung des Sehvermögens ans Sicht- und Identifizierbare, nicht
lange zu halten, will man vom Ereignis weg und hin zum zu bestimmenden
‘Gegenstand’, den der Text zu weben hat. Man trägt also zur nutzlosen Identifizierung
der Welt (Baudrillard) bei und damit auch an der
Weltabtragung; und man fährt fort, Sinn zu produzieren, in der Hoffnung, sich
mit „Desidentifizierbarem“ zu infizieren.
Festzuhalten sind dennoch folgende Behauptungen,
die den Text grundieren:
a) Nachdem
sich „der“ Körper als Bild entzogen hatte, sich in Bilder einkleidete, nachdem
er als nackter beinahe ganz von einer Semiotik der Macht durchherrscht wurde[5], und
das Bild der Körpers eine Lebendigkeit des Diskurses erlaubte, die davon
zehrte, daß der Körper tot zu sein hatte oder zumindest sich tot zu stellen
hatte (man könnte hier auch das dynamische Verhältnis von variablem und fixem
Kapital einsetzen), stehen wir heute eher vor der Notwendigkeit, den Diskurs
bzw. die Symbolik als solche zu „töten“, um in den Bildern leben zu können.
b) In den
Bildern leben heißt aber zugleich, nicht mehr zwischen Blick und Bild zu
oszillieren, denn Im-Bild-Sein schliesst
Im-Blick-der-anderen-Sein aus; man wird allenfalls
noch von „intelligenten Prozessoren“ in den Blick genommen, die sequentiell
Nutzungsprofile des users errechnen und ebendiesen user mit bestimmten Bilder- und Textangeboten ansprechen (also
definitiv nichts anders als das, was dem Konsumenten seit Jahrzehnten zuteil
wird).
c) Von den
vielen Bedingungen zur Ermöglichung dieses In-Bildern-Lebens
ist das Pornographischwerden jedes Bildes bisher am weitesten gediehen: Pornographisch
ist ein Bild dann, wenn es nicht mehr zu sehen erlaubt, was es nicht zu sehen
erlaubt; wenn es in seiner Übervermitteltheit eine Unvermitteltheit zwischen
Bild und Begehren kurzschließt, die nicht mehr eine Ahnung aufrechterhält vom
Stellvertretenden, Substituierenden, Bezeichnenden des Bildes, sondern den Anzug
eines anderen Körpers als Umweg, als umständlich, als nicht mehr notwendig
auszuweisen vermag. Was Pessoa noch mit einem Timbre der Enttäuschung verlautbarte,
daß nämlich der Onanist der wahre Liebende sei, das bekäme mit dem Pornographischwerden
des Bildhaften den Status der Selbstverständlichkeit. Eine
Selbstverständlichkeit, die sich keiner sozialen Referenz mehr eingebettet
weiß, und wohl deswegen Leid produziert, weil sie immer wieder an sozialer
Referenz sich auszurichten hat. (Es so zu sehen heißt eigentlich nur, sich noch
nicht vorstellen zu können, wie das aussieht: eine persönlich gewordene soziotechnische und persönlichkeitsorientiert programmierte
Infrastruktur „des Geistes“, oder anders: sich nicht vorstellen zu können, was
das ist: das sozial geformte Humanum als Untermenge
der Elektrizität.) — Und schließlich
d) übernehmen
audiovisuell und computional erzeugte und konsumierte
Bilder in den präkatastrophalen Gesellschaften
zumindest für die Zeit, bis die sozialen Gesellschaften eine Untermenge der Unternehmensgesellschaften
bilden (vielleicht der letzte epochale Rationalisierungsschritt innerhalb einer
nun gut 500 Jahre andauernden Neuzeit), die Funktion der Darstellung einer
„Kultur“ im Sinne eines „Programms der gesellschaftlichen Thematisierung
elementar wichtiger Unterscheidungen“[6], bis
schließlich die Stabilität einer Gesellschaft deckungsgleich geworden ist mit
einer alles durchziehenden just in time-Zeit als hochsoziotechnologische Form der Lebenforms
„Von der Hand in den Mund“.
II Ambivalenzen der thematischen Engführung
Will man weiterhin im Modus
Erkenntnis-Erkenntnisgegenstand oder im Modus Thema-Problem-Problemlösung
schreiben, wird erst einmal unklar, was der Gegenstand ist. Sind es die Bilder,
ist es die Realität der Bilder, ist es die Imagination?;
sind es also tatsächliche Ausschnitte der realen Welt und als solche dann auch
die Grenzen des zu thematisierenden Gegenstandsbereichs? Oder ist das Thema
vielmehr eine ‘Problemstellung’? Betrachtet man die Bilder in den Maschinen,
den Köpfen, den Träumen, in der Kommunikation?; oder
betrachtet man eher die Art und Weise der Betrachtungen, Befragungen,
Problematisierungen und Thematisierungen der Bilder? Ist die Erfahrung am
Gegenstand oder ist die Form der theoretischen Fassung des Gegenstandes Zentrum
des Schreibens?[7]
Solch Polarität zu unterstellen mag analytischer Unfug sein, da es wohl
unausweichlich so ist, daß die kulturell, wissenschaftlich und traditionell
überlieferten Arten und Weisen der Betrachtung von Bildern längst in die
Produktion von Bildern und die Bilder längst in die Art und Weise ihres Betrachtetwerdens eingegangen sind. Bilder von Bildern sind
eben auch Bilder, gleich ob in schriftlicher, gedanklicher oder filmischer
Trägerschaft ruhend. Man kann also nicht über Bilder schreiben, ohne
gleichzeitig mit ihnen zu schreiben. Das heißt jedoch nicht, daß das
begriffliche Freilegen der Bilderbedeutungs- und Bilderwirklichkeitsschichten
gleichsam nur noch mittels ‘Homöopathisierung’ von Theorie zuwege gebracht werden
kann. Auch wenn der Ikonoklasmus innerhalb der
jüdischen Überlieferungstradition nicht nur (mit welcher Stringenz auch immer)
dazu beigetragen hat, daß im Hellenismus und in der Spätantike Idolatrie herrschte, sondern gleichsam durch die selbst
durchgeführte Verschriftung und Vertextung von Welt
die Folie abgab für das idolatrische Projekt einer
Bildwerdung von Welt; und auch wenn der Versuch der sich im 17.Jahrhundert
formierenden Wissenschaft gescheitert ist, „alle Bildlichkeit selbst aus der
Sprache zu nehmen und sie zu einem eindeutigen Medium wissenschaftlicher
Verständigung zu machen“[8]; und
auch wenn, in diesem Zusammenhang bleibend, es heute im Gegensatz zur Zeit der
beginnenden Schriftkultivierung von Gemeinschaften nicht mehr darum geht, Gesetze,
Tradition und Überlieferungswissen aus einer ‘gelebten Performanz’ zu
evakuieren resp. zu exkarnieren und in eine
performativen Schriftlichkeit hineinzuversetzen (Übergang von gelebter zu
gelernter Tradition, von Augenzeugenschaft zu mnemotechnisch
eingefassten Erinnerungsformvorschriften, vom Kultbild zur Torah-Rolle),
sondern vielmehr darum zu gehen scheint, sich in den Bildern ein auf Zeit
angesetztes Vergessen der Eingebundenheit in und Abhängigkeit von Kodifizierungen
und Kanonisierungen des Gesetzes, des Wissens, der Tradition und der Autorität
zu leisten; wenn man all dies auch in Rechnung stellt, um auf die Schwierigkeit
hinzuweisen, über Bilder zu schreiben, ohne in Bildern zu sein, so gibt es
vielleicht doch einen Unterschied zwischen theoretischem und okularem Bildersehen, der nicht an der jeweiligen Form, am
jeweiligen Code und am jeweiligen Medium festgemacht werden kann, sondern bloß
in einer ‘menschlich’ bewußt-unbewußten Verfasstheit der
Wirklichkeitsbeziehung, nämlich: Wer theoretisch sieht, will nicht getäuscht
werden; wer Bilder sieht, will getäuscht werden (auch dann noch, wenn er weiß,
daß das Geheimnis eines wahren, authentischen, reinen, ungetäuschten Etwas
hinter der Täuschung erloschen ist)[9]. Unter
der Abschnittüberschrift ‘Seligkeit ist Freude an der Wahrheit. Man kennt sie,
läßt sich doch verblenden’ im 10. Buch der Bekenntnisse des Augustinus[10] wird
der Versuch unternommen, den Gedanken zu zerstreuen, daß nicht alle selig sein
und zu Gott kommen wollen: Alle wollten letztlich doch das glückselige, das
freudige, das wahrhaftige Leben, denn:
„Viele sind mir begegnet, die täuschen wollten, aber keiner, der getäuscht
werden wollte. Wo anders haben sie das glückselige Leben kennen gelernt als
dort, wo sie auch die Wahrheit kennen lernten? [...] Warum also freuen sie sich
nicht an ihr? Warum sind sie nicht glückselig? Weil sie stärker von anderen
Dingen gefesselt werden, die sie unselig machen, und nur schwach sich dessen
erinnern, was sie selig machen könnte. Denn ‘nur eine kleine Zeit noch ist das
Licht bei den Menschen’. Möchten sie eilen, ja eilen, daß ‘nicht die Finsternis
sie überfalle’! [...] Ja, so ist es, so ist die Menschenseele; blind und träge,
schmutzig und häßlich, wie sie ist, will sie selbst verborgen bleiben, aber
will nicht, daß ihr etwas verborgen bleibe. So trifft sie die Vergeltung, daß
sie enthüllt vor der Wahrheit dastehen muß, während die Wahrheit sich vor ihr
verhüllt. Und dennoch, so unselig sie ist, will sie lieber am Wahren sich
freuen als am Falschen.“
Die waghalsige These wäre also, daß theoretisches
Sehen, zwar die emphatisch aufgeladenen Focusse wie
Wahrheit, Glück und Gottesnähe abgesprengt habend, aber dennoch daran festhält,
nicht getäuscht werden zu wollen, auch nicht von sich selbst[11],
während das okulare Sehen diesen Anspruch aufgegeben
hat, sich jenseits dieser ´kleinen Zeit, in der das Licht noch bei den Menschen
ist´, aufgehoben wähnt, also längst ein von Finsternis überfallenes Sehen
geworden ist, das nun nur noch die Realität der Bilder wahrzunehmen fähig ist[12],
eine Realität, in der die Unterscheidung zwischen Wahrem und Falschem verpufft
ist und also auch ein Wissen darum, daß es soetwas
wie Täuschung überhaupt gibt (das wäre dann das Aufgeben der Negation als
Reflexionswert jeder positiven Bestimmung und damit das Aufgeben eines konstituierenden
Teils der Sprache, denn nur in der ist die Positivierung
von Negativitäten möglich[13];
vgl. Hegels Versuch, im Negativen Welt zu bauen). Daß nun das Nicht-getäuscht-werden-Wollen
der Theorie einzig dazu da ist, die Möglichkeit des Täuschens bzw. der Illusion
(als Gegenbegriff zur Simulation) selbst zu bewahren, die ihrerseits wieder die
Möglichkeit eines Jenseits oder eines
Dahinter der Bilder eröffnet, macht
die Ambivalenz des Schreibens über die Realität der Bilder aus.[14]
Dementsprechend ist es nachvollziehbar, daß Baudrillard
das Getäuschtwerden bzw. das Illusionäre längst aus
dem Gegenstandsbereich Bild evakuiert
und es ins ‚grundsätzliche‘ Weltverhältnis eingebettet hat, wobei noch offen zu
halten ist, ob jeder basale Weltobjektkontakt
bildlich ist oder die Bildlichkeit nur eine Modalität unter vielen ist, für die
jedoch alle gilt, daß die durch sie in Verbindung tretenden „Objekte“ der Welt
uns nur definitiv verändert erreichen – „auf dem Bildschirm der Wissenschaft,
im Spiegel der Information, auf dem Bildschirm unseres Gehirns. So bieten sich
alle Dinge dar ohne Hoffnung, etwas anderes zu sein als die Illusion ihrer
selbst. Und das ist gut so.“[15]
Neben dieser eher erkenntnistheoretischen gibt es
eine zweite, eher ideologiekritisch zu adjektivierende
Ambivalenz, die sich zwar nur an der Dimension der telematischen
Bilder (und nicht etwa an der Dimension der Einbildungskraftbilder) und der
damit verbundenen technisch-sozialen Infrastruktur des gesellschaftlichen Verkehrs
entzündet, aber doch die Frage in ihrem Kern trifft, wie klar man von noch so
vorsichtigen beschreibenden Bewertungen weg- und zu einfach beobachtenden
Beschreibungen von Bildern hinzukommen vermag. Gundolf S. Freyermuth wirft den
meisten kulturkritischen Analyisten, die von
Medienwirklichkeit „faseln“, vor, sie haben keine Ahnung, wovon sie reden[16]; die
Referenz der Kritiker seien bloß diejenigen Wirklichkeitsausschnitte, die als
einzige von der industriellen Epoche den Stempel Realität aufgedrückt bekommen haben. Diese Ausschnitte der enstandenden modernen Massengesellschaft erlebten mit der
digitalen Revolution einen Bedeutungsverlust: Die digitale Revolution mache die
Entwicklungen der modernen Massengesellschaft „nicht rückgängig, sie hebt sie
im Hegelschen Sinne auf eine höhere Stufe. Die industriellen Massen, uniform
und von bürokratischen Identifikationsverfahren gezeichnet, weichen Individuen,
deren Identität so festgelegt nicht mehr ist. Der Zuwachs an Freiheit kommt nun
nicht, weil die Menschen sich von den Zwängen der industriellen Wirklichkeit
emanzipieren wollten - im
Gegenteil, die meisten hängen an ihren Fesseln -, sondern weil die neuen,
digitalen Produktionsverhältnisse es verlangen.“ Die sozialökonomische
Reformierung gesellschaftlicher Wirklichkeiten lasse also zum einen vieles bis
dato Uniforme individualisieren; zum anderen aber schrumpfe sie die
Verwirklichungsräume der Gesellschaft ein. Daraus zieht Freyermuth den Schluß:
„Für die Befriedigung der vereinzelten Bedürfnisse ‘entmasster’
Millionen ist die ‘Realität’ der widerständigen Atome [..]
kein idealer Ort, so sehr man ihr auch mit künstlichen ‘Erlebeniswelten’
auf die Sprünge hilft“. [...] Was ‘Medienwirklichkeit’ heißt, ist in den
analogen Massenmedien nur Täuschung, eine Mogelpackung, in der stets dieselbe
Illusion von der Stange steckt. Digital gelingt jedoch das Doppeldesign: die
subjektive Zurichtung ‘unserer’ Welt wie auch der beständige Neuentwurf der
eigenen Person in Rollen-Ichs und Avatars.“ Diese
anfänglich durchaus nicht affirmative Beschreibung des Umstandes, daß die
Realität der widerständigen Atome, also der mindestens dreidimensional seiende
Raum, immer ungeeigneter wird für die massenhafte Entfaltung von sich
individualisierenden Individuen, und daß das Ausweichen in digital hergestellte
Bilderräume von den Produktionsverhältnissen her erzwungen wird, also auch gesellschaftstrukturell und nicht bloß motivational
zu erkären sei, wird dann aber doch zutiefst
ideologisch, und zwar dann, wenn für die Befriedigung der Bedürfnisse weiterhin
die analytische Einheit Individuum,
seine autonome Selbsteinwirkmächtigkeit, seine Souveränität subjektiver
Weltkonstruktion und seine Fähigkeit der Ich-Inszenierung impliziert wird. Und
eigenartigerweise sind diese basics bürgerlicher Verfasstheit, die auf das alleinige Recht alleiniger Verfügung über
die eigene Person abzielen, innerhalb der Bilderwirklichkeit wohl bestens anzubringen.
Denn erst hier verliert der Freiheitsbegriff des bürgerlichen Liberalismus
seine ihn konterkarierende materielle Verankerung („Freiheit, unter den Brücken
zu schlafen“) und kann nun, bloß noch eingeschränkt durch die Phantasie von
software-Entwicklern und den Leistungsgrenzen der hardware,
die bildliche Welt vom Kopf aus und mit dem Kopf gestalten, verändern,
durchqueren, sehend erleben. Und mit der wohl nicht mehr lange auf sich warten
lassenden massenindustriellen Fertigung von cyberspace-Equipements wird gar
die bei Hegel noch historisch schwerwiegende, langandauernde und Vermittlung
brauchende Arbeit des absoluten Geistes, Welt in Gänze zu durchherrschen, operationabel und instantan
zugleich: Jeder noch so kleinen Bewegung und Änderung des residualen Körpers,
der in Sensormatrixen eingepackt ist, folgt sklavisch
und gleichzeitig eine vollständig neue Berechnung der (Zentral)-Perspektivität des gesamten Bilder-space.[17] Was
bei Hegel noch eine Arbeit des Begriffs war, die Aufhebung von Welt in der
Reflexion als Negation mit anschließender Negation des Negativen und dann
endgültiger Entlassung dieser so bearbeiteten Wirklichkeit als Wirklichkeit des
Geistes ins Außerhalb seiner selbst[18], das
passiert in der space-Bilderberechnungstechnik qua
unmittelbaren Reflexes in sogenannter ‘Echtzeit’. Man kann auch sagen, daß nach
dem Scheitern der Unterbringung transzendentalen Weltverhältnisses in der
räumlichen Wirklichkeit (hier das Ich - dort die ganze übrige Welt) nun „nur
noch“ in der errechneten Bilder-Wirklichkeit dieses elementare Gegenüber-Verhältnis
möglich ist, möglich im Sinne einer Realität der faVade, die nur beim Ein- und Ausschalten
der dafür notwendigen Apparaturen als solche erkannt werden kann, nicht mehr
jedoch während des Aufenthalts in der (platonischen) Höhle der Bilder.[19]
Nun ist es ein Leichtes, auch diese Betrachtung,
also die ideologiekritische Betrachtung der „digitalen Revolution“ als nun
endlich sich ‘regionalontologisch’ ausweisende wirkliche Heimstatt für fundamentale
Weltinbeziehungssetzungsmuster
der bürgerlichen Menschenfassung, selbst als ideologische und zudem ikonoklastische zu bestimmen: Ideologisch, weil sie den
Eigengesetzen dieser neuen Wirklichkeit jenseits der ‘Realität widerständiger
Atome’ nicht nachkommt, sondern in der Weiterentwicklung dieser Sparte der
Bewußtseinsindustrie bloß eine Fortsetzung der politökonomischen Zwänge und
Formen mit anderen Mitteln erkennt; ikonoklastisch,
weil sie das jüdische Verbot, sich ein Bild von Gott zu machen, um sich nicht
mit der dem Schöpfer geschuldeten Anbetung im Geschaffenen zu verfangen (J. Assmann),
einfach auf gehobener Stufenleiter perpetuiert: ‘Du sollst nicht in Bildern verkehren’ resp. ‘Du sollst
nicht mit Bildern verkehren’.[20] Das
gegenwärtig abhebende Sich zu Bildern
machen bzw. Sich in Bildern (von
sich) ab-machen (im Sinne von: darin verschwinden
und von: sich einer anderen „Körperschaft“ überstellen) wäre also immer noch
auf die grundlegende Beziehung zwischen Gott und den Menschen zurückzuführen,
nach der das Bildermachen ein Privileg Gottes ist: Gott, so Herbert Neidhöfer, macht sich ein Bild von sich, den Menschen. Dieses
Bild Mensch darf sich aber kein Bild
Gottes machen, und zudem, da Gottesbild, auch kein Bild von sich selbst. „Der
Mensch hat aber ständig ein Bild Gottes vor Augen, nämlich das Bild seines
alter ego (das - als Eva - gleichfalls von Gott kommt). Damit ist das Bild
nicht nur ein Privileg Gottes, sondern - und dies vor allem im Verlauf der
Geschichte - die Todsünde, in die Gott den Menschen unauflöslich verstrickt
hat, indem er ihn nach seinem Bilde geschaffen hat.“[21]
— Wie man sieht, bleibt auch hier eine Ambivalenz
der thematischen Engführung des Themas, was die Realität der Bilder ist,
bestehen, solange man nicht klar die theoretischen Prämissen angeben kann, die
es einem erlauben, etwas als gut/schlecht, regressiv/progressiv, dem Menschen
zukommend/dem Menschen abträglich usw. zu bestimmen. Interimistisch, aber auch
das ist extremer Optimismus, bleibt einem nur, daran festzuhalten, daß die
Zunahme von Abhängigkeiten und die Zunahme von Unabhängigkeiten - um es aseptisch neutral zu
formulieren - gleichzeitig passieren.
Oder anders formuliert: Das, was die Epistemologie in mehr als 2000 Jahren
nicht geschafft hat, nämlich herauszubekommen, was der „Nexus“ ist, der die
Berührung des menschlichen Bewußtseins mit Realität ermöglicht[22],
wird auch nicht durch die Hyperpräsenz der Bildermedien und deren expansives
Einkassieren einfacher Realitätskontakte gelöst; wenngleich alles daran gesetzt
wird, dies Enigmatische des Mensch-Welt-Kontaktes vergessen zu machen bzw.
alles dafür getan wird, technisch-praktisch zu demonstrieren, daß das Imaginieren nicht Effekt ist eines uneinsehbaren Verhältnisses
des Menschen zu den Körpern, die sie haben, sondern internes Vermögen einer
Einbildungskraft, für die alles Nichtscheinhafte,
alles Materiale etwas ist, das keinen Unterschied macht.
III Versuchungen, es sich einfach zu machen
Der Frage nach der Realität (oder sind es
Realitäten?) der Bilder nachzugehen heißt zu bedenken, daß eine bestimmte
Versuchung immer wieder nach vorne drängt: die nämlich, von der Sozialität
menschlicher Interaktion als eine Art motherboard für alle weiteren Überlegungen auszugehen. Im sozialen
Raum der Interaktion zu handeln und zu erleben heißt nämlich, nicht angewiesen
zu sein auf technisch produzierte Bilder, weil man weiß, daß man im Erleben,
Erinnern und Sprechen des anderen mitaufgehoben ist. Passierende Sozialität
also als der (vierdimensionale) Raum, in dem ich schon mitgeteilt bin, also
nicht nur auf mich selbst zurückgreifen muß als einzige Garantie dafür, daß etwas,
auch ich selbst, war; als Raum, in dem ich mir die Vergewisserung des In-der-Welt-Seins außerhalb meiner selbst besorgen kann,
besser: in dem mir meine Vergewisserung
besorgt wird. Diese Versuchung wird eigenartigerweise umso stärker, je
bewahrheiteter sich bestimmte Theorieteile von G. Anders, Th.W.
Adorno, K. Marx, J. Baudrillard und neuerdings von V.
Sigusch[23]
betreffs des Standes der Verquickung von Verstofflichung
des Menschen mit der Entstofflichung von Dingen plus der Entstofflichung von Menschen mit der Verstofflichung
von Dingen heutzutage ausnehmen. D.h.: Je nachhaltiger die Versuche werden,
Vergewisserungen des Selbst nicht mehr über die Soziabilität
des In-der-Welt-Seins zu ‘besorgen’, sondern man
demgegenüber vermehrt über die angebotenen, technisch konfigurierten „Welten-im-Selbst“ Selbstbegegnung zu ermöglichen sucht,
desto stärker wird die Versuchung, die technische Ermöglichung des In-den-eigenen-Bildern-Lebens als Enttäuschung und
Sozialitätsverlust verarbeitendes Kompensat
aufzufassen, als derivatiöse Projektion, als
Erinnerung. Daraus entspringt eine zweite Versuchung für eine bestimmte
Interpretation, die sich auf die erkenntnistheoretische bzw. erkennenstheoretische[24]
Dimension der Information (als Überbegriff für den Begriff des Bildes) bezieht.
Sie geht davon aus, daß in der Instantanisierung, in
der Ephemerisierung, der Temporalisierung und Volatilität der Wirklichkeit des
(digital generierten oder digital präsentierten) Bildes ein Verständnis von Wirklichkeit
sich endlich zuspitzt, das erstblicklich im Gegenteil
dazu alle Bestrebungen darauf richtete, die Wirklichkeit festzustellen und als
unveränderliche jederzeit wiederholbar zu machen. Dieses
Wirklichkeitsverständnis wird gemeinhin virulent in dem abendländischen und von
der griechischen Tradition weiterhin beherrschten Begriff des Wissens: das
Wissen ist das, was ich gesehen habe. „Wir haben ein Wissen von etwas, wenn wir
es gesehen haben und von daher nicht
noch einmal hinschauen müssen. Dieses Verständnis von Wissen impliziert also
die Nichtveränderung des beobachteten Objekts. Von daher leitet sich auch das
Ziel abendländischer Wissenschaft ab, das Sein zu erkennen, indem man auf das
Unveränderliche fokussiert und Konstanten aufzudecken sucht. Die Realität als
der Bereich, dem wir wirkliches Sein zuschreiben, hängt von daher von unserer
Erwartung ab, daß das Beobachtete sich nicht verändert.“[25] Zwar
ist nun in der virtuellen Bilderraumwelt rein gar nichts mehr unveränderlich
und fest, da ja jetzt die Dreidimensionalität imaginierenden
Bilderflächen die Anpassungprozesse der Akkommodation
und Assimilation übernommen haben (besser gesagt: natürlich die Computer), die
sonst ein sich bewegendes Subjekt in der (nicht nur) dreidimensionalen Wirklichkeit
tätigt. Und also geht es auch nicht mehr um ein Feststellen einer feststehenden
Objektwelt, die bleibt, auch wenn ich nicht bleibe („Horizont“). Und es geht
auch nicht mehr darum, wegsehen zu können von der Welt, nachdem man sich sehend
davon überzeugt hat, daß sie so ist, wie man es sah. Aber, und darin sehe ich
die ausgereifte, quasi sich in sich aufhebende Form des Weltverhältnisses
beobachtenden Feststellens: Die digitalen Bilder im virtuellen Raum erlauben es
nicht mehr, wegzusehen: Man kann, ist man denn ausgestattet mit dataglove und head mounted display[26], in
der Interaktion mit 3D-Umgebungen und 3D-Objekten nur noch beobachten, jetzt
nicht verstanden als Verunmöglichung des Riechens, Berührens usw., sondern als
Verunmöglichung des Nichthinschauens, des Blickabwendens, des Changierens
dessen, was Figur, was Hintergrund der angeschauten Welt ist.[27] Das
Feststellen der Realität nichtveränderter Objekte macht also soetwas durch wie einen Sprung von Quantität zu Qualität:
Dasjenige, was bis dato gesehen werden konnte und deswegen als etwas aufgefasst
wurde, das jenseits des Operationsradius des Sehens ‘ist’, wird jetzt in den
Operationsradius des Sehens eingezogen. Es existiert nicht mehr als etwas, zu
dem das beobachtende Subjekt sich verhalten muß in der Art, daß es sich erfährt
in einer Beziehung mit etwas, in der es nur einen Teil ausmacht, also nur
Bestandteil ist, und dementsprechend verbunden ist mit etwas, was es nie weiß,
was es nie einnehmen und erreichen kann.[28] Der
operative Konstruktivismus hatte daraus noch Konsequenzen gezogen und gesagt,
daß kognitive Systeme nicht zu unterscheiden vermögen zwischen den Bedingungen
der Existenz von Realobjekten und den Bedingungen ihrer Erkenntnis, weil ihnen
kein erkenntnisunabhängiger Zugriff auf ebendiese Realobjekte zur Verfügung
stehen würde.[29]
Nichts desto trotz blieb das Unverfügbare, das Andere als Umwelt bzw. als
Horizont anerkannt. In der sog. Interaktion mit 3D-imaginierenden Bildern ist
diese Unterscheidung aufgelöst[30]: Die
wenn auch nur als focus imaginarius
angenommene Existenz von Realobjekten und Realumgebungen ist nun vollständig
Effekt der Bedingungen zur Ermöglichung von Verbildlichung sehender Erkennntnis; ist nun vollständig in die Realität der
Verbildlichung der Bedingungen des Erkennens eingezogen. Oder anders: Das
ausgerüstete Subjekt okkupiert in Gänze den Bereich des Beobachtetwerdenkönnens,
es selbst „wird“ das, was sonst das ist, in und mit dem es ist, nämlich Welt,
Horizont, Umwelt, und bleibt zugleich dasjenige, das beobachtet, sieht,
erkennt. Das Beobachtete und der Beobachter sind eins geworden, wenngleich auf
der Ebene visueller Aisthesis noch Verschiedenheit
imaginiert werden kann (solange man nicht bemerkt, daß man gar nicht mehr die
Möglichkeit hat, nicht zu sehen). Ist man im Sehen dieser Bilder, also in der
Interaktion mit 3D-Umgebungen, dann ist das ausgeschlossen, was sonst als
theoretischer Kniff möglich ist: Das sog. re-entry.[31]
IV Versuchungen, es sich schwer zu machen
Nach dem Umschreiben der Versuchung, für das
Nachdenken über Bilder sich die Referenz der Soziabilität
des Menschen auszusuchen und diese quasi zu anthropologisieren, um von da aus
den Status der Bilder als erinnernder Abfall zu beschreiben, und dem
Umschreiben der zweiten Versuchung, in den Bilderverhältnissen trotz
Widerschein eine zentrale abendländische Matrix zu sich kommen zu sehen,
nämlich das beobachtende Feststellen von „Sein“ im Subjekt-Objekt-Gefüge, nun
allerdings auf qualitativ höherer Stufenleiter, steht jetzt die Versuchung an,
es sich schwer zu machen. D.h., den noch konkreter zu erläuternden
Bedeutungsgewinn der Bilderproduktion und -konsumtion für die
gesellschaftlichen Verkehrsformen und Reproduktionen auf etwas zurückzuführen
bzw. von etwas abzuleiten, das nicht auf den ersten Blick verrät, was es mit
den Bildern generativ, motivational, anthropologisch
usw. zu tun hat. Jenseits der Versuche, die Bilder, deren Macht und Wirklichkeitsaufsaugpotenz
als menschliche Versuche der Selbstvergöttlichung
bzw. als Versuche der Unsterblichkeitswerdung zu deuten, und jenseits der Versuche,
in Bildern eine Strategie des Vergessens zu sehen, soll der Gedanke ausprobiert
werden, ob der wohl behauptbare gesellschaftliche Zug der Verbildlichung realer
Welt bis hin zur Verweltlichung realer Bilder sich aus dem Bestreben nährte,
endlich auch über die bis jetzt dem Menschen unverfügbare Grenzeinziehung zwischen wachem und schlafendem Sein zu verfügen.
Bilderproduktion, Bilderkonsumtion und schließlich „Bilderbewußt-seinung“,
verstanden als Rangfolge, hätten also nichts anderes zum Ziel als die technisch-operative
Verwirklichung des willkürlichen Einsetzens von Hypnose. „Interaktion“ mit
Bilderberechnungsräumen also als Illusion der Verfügbarkeit des wachen
Bewußtseins als Wachheit im virtuellen Raum als Traum. Bilder also als Abkehr
von Versuchen, Thanatos in den Griff zu bekommen, und
Hinwendung zum ‘kleineren’ Bruder Hypnos.[32] Wenn
die Träume des Menschen (etwa von Unsterblichkeit) nicht in der realen Welt
unterzubringen sind, dann muß die reale Welt in den Träumen untergebracht
werden. Oder: Wenn die Träume vom Aufwachen aus dem anthropologischen Schlaf
(Foucault) die Selbstreflektion nicht mehr ausschalten
können, daß jeglichen Aufwachen immer nur im Schlaf passiert und also das
Aufrechterhalten einer Erinnerung an ein Schlafjenseitiges
nicht mehr weiß, was es noch hält, dann soll wenigstens das Schlafen und
Träumen etwas sein, was sich keiner Unterscheidungseinheit verdankt, etwas
sein, was differenzlos ist. Oder: Wenn Träume nicht
mehr wahrgemacht werden können, dann soll wenigstens das Träumen wirklich werden.
Oder: Wenn der Schlaf der Vernunft Ungeheuer gebiert und man davon ab will,
dann könnte man versuchen, nicht mehr die Vernunft schlafen zu lassen, sondern
den Schlaf zu „vernünften“ bzw. zu „bewußtseinen“. Oder, auf Baudrillard
verweisend[33]:
Wenn Unmäßigkeit nur der Welt, nicht aber uns gehört, und dies uns vor der
Illusion des Willens bewahrt, dessen Extrapolation in die Geschäfte der Welt
nur die des Verlangens oder die des Schmerzes im Phantomglied ist, und zudem
die Träume uns ebenfalls die Illusion vermitteln, wir könnten sie dirigieren
oder ihre Laufzeit unterbrechen; ja daß sie sogar die Illusion der Bewußtheit
des Traumes vermitteln, und wir also sowohl mit dem Willen als auch mit dem
Traum als auch mit der Existenz nicht einverstanden sei dürfen: Was wäre dann
für den Umgang mit der unmässigen Welt passender als
‚außerhalb zu schlafen‘ und dieses Außerhalbschlafen zu handhaben, indem man
sich selbst somnambul macht und dies noch in einem Anschauungsverhältnis zu
sich in Distanz bringt, verstanden als ein Verhältnis, das nicht mehr auf Sinn
angewiesen ist, sondern nur noch in Zeit ‚gearbeitet‘ ist, nichtsdestotrotz
aber nicht in reine Operationalität aufgeht (also
noch irgendartliche Verbindung zum Zeichensein
erinnert), sondern eben in diesen eigenartigen Zustand des Somnambulen,
Hypnotischen, Dämmernden mündet? Die Frage ist nicht nur rhetorisch gemeint; es
ist eine Frage danach, ob die erstblickliche
Unmöglichkeit eines Sich-Somnambul-machens wirklich
das letzte Wort ist. „Keineswegs“, so Christoph Weismüller, „auch kann es sich
in bezug auf das Statthaben des Somnambulismus um eine bewußte oder
koordinierte Entscheidungsfindung handeln, so als ob zwischen Traum und Schlafwandeln
eine freie Wahl bestehen würde. Für die Unmöglichkeit einer bewußten
Entscheidung oder freien Wahl steht die Konstanz des Tiefschlafes ein, auch
wenn dieser möglicherweise an eine innere Grenze gerät. Vielmehr scheinen
Grundkonditionen der Möglichkeit zur differenzierenden und die Repräsentation
eröffnenden Traumbildung einbehaltend ausgesetzt, das heißt korporal
rückbezogen zu sein, wodurch der Traum im Sinne der Traumarbeit selbst in den Körper zurückfällt, so daß sich
hier die Parodie der unsterblichen Seele zu ereignen anhebt. Die
Bewußtlosigkeit in ihrer von der Vorstellung abgekoppelten Dimension steht so
als die korporelle Hyperbewußtheit ein, wie als das
eigene Gedächnis ihrer selbst.“[34] Die
These nun, daß sich das In-den-Bildern-Leben am Focus
einer Verfügung über den (Tief-)Schlaf ausrichtet, ist nur plausibel, wenn der
Traum eben nicht mehr in den Körper zurückfällt, sondern wenn vielmehr der
Bildertraum herausfällt aus dem Bewußtsein, das sich seinerseits evakuiert hat
aus dem Träger Körper, der
seinerseits nicht mehr ist als die reine Perturbation der Umwelt des Systems
Bewußtsein, das seinerseits bloß System ist in der Binnen-Umwelt der Systemimmanenz
der Bildererrechnungsmaschinen. Im Somnambulismus, so Weismüller, handele es
sich um die Wandlung des Körpers zur Aufzeichnungsfläche, auf der die Inskriptionen
des funktionalen Phänomens, seiner ihn schwinden machenden und wie erfüllenden
Darstellung, vorgenommen werden, denen er negentropisch
mit der Bewegung des nächtlichen Umhergehens begegnet.[35] Im
hiesigen Verständnis des körperlosen Somnambulismus wäre der Körper nicht
Aufzeichnungsfläche, sondern vielmehr die „eigene Schnittstelle“ für die
visualisierten Perspektiven und Perspektivbewegungen innerhalb der Bilderräume
innerhalb der Vorstellungen; also im Grunde soetwas
wie die Bedingung zur Ermöglichung einer beim Umhergehen mitlaufenden Kamera
seiner selbst, die im Gegensatz zum richtigen Wandeln den eigenen Körper nicht
mehr verwenden muß (wirkliches Gehen und Wandeln), sondern ihn nur noch zu
erwähnen braucht[36]
(da das körperliche Bewegen als Zentralperspektive der errechneten Bilderumgebungen
nicht im Raum, sondern im „Augenblick“ passiert). — Wenn es stimmt, daß der
Schlaf (inklusive der Emotionen) fürs Bewußtsein das ist, was das biologische Immunsystem
für den Körper ist, wäre also die behauptete Ausrichtung der Bilder, dem Menschen
die Verfügung über seinen Schlaf in die Hände zu geben, nichts anderes als der
Versuch, sich als bewußtes System vor sich selbst zu schützen, indem das
Ambulante der Existenz, also das Ortlose und Umherirrende in der wirklichen
Raumzeitwelt, das immer in einem Spannungsverhältnis zum Bedürfnis nach
Stationärem steht, verlegt oder ausgetauscht wird durch eine ambulante Existenz
in der Immaterialität von Bildern: nur dort ist das „planlose Irren“, das bis
jetzt den Zivilisationsprozeß unendlich viele Blutspuren hat ziehen lassen,
unblutig und zudem kongruent zur Grenzenlosigkeit der Imagination. Der Preis?
Der Preis ist die Notwendigkeit zu vergessen, daß das Imaginäre vollständig
hermetisch und immanent ist; und dies umso mehr, je weitgehender die Imagination
in Sprache umgearbeitet wurde, deren konstitutionelle Differenz zwischen
Tautologie und Paradoxie eigenartigerweise das Bedürfnis nach rein
tautologischer „Weltverarbeitung“ verstärkt hat[37].
Aber vielleicht ist diese Bedingung des notwendigen Vergessens keine Notwendigkeit
mehr, sondern vielmehr das eigentliche Ziel oder Movens
des Sich-in-Bilder-Versenkens geworden, weit über den
theoretischen Topos des Vergessens als Strategie des Erinnerns weisend und in
Ansätzen ein Profil gesellschaftlichen Lebens zeigend, das so gefasst werden
könnte, wie Solvej Balle in ihrem Buch „Nach dem
Gesetz“ einen ihrer Protagonisten beschreibt: „René G. war glücklich. Jeden Tag
näher dran, niemand zu sein, und binnen kurzem vielleicht so dicht am Nullwert,
wie es einem Menschen möglich ist, ohne daß er aufhört, Mensch zu sein. René G.
war beinahe niemand. Eine Glasscheibe, ein zufälliger Wind.“[38] Wie
könnte man dieses touchierte Profil erklären? Vielleicht mit einem kleinen
Rekurs auf Augustinus´ Auslassungen über das Problemensemble Erinnerung, Gedächnis und Bild im 10. Buch von Confessiones.
Das 10. Buch handelt von der Innenschau, der Liebe
zu Gott und den Gefahren und Mängeln, also von bestimmten Schwierigkeiten, die
ein Gottsucher sich bewußt zu machen hat, damit er Gott findet. Nachdem
Augustinus feststellt, daß der Gottsucher auch das sinnliche Seelenleben unter
sich zu lassen hat, um ins „Innere“ einzukehren, beginnt er das Gedächnis zu erforschen. Die Fülle der Bilder beindruckt Augustinus derart, daß er seinen Expeditionsbericht
mit folgenden Worten beginnt, die auch heute noch das Verständnis vieler
Bilderkonsumenten den digitalen und analogen Bildern gegenüber zu umschreiben
vermögen:
„Da gelange ich zu den Gefilden und weiten Hallen
des Gedächnisses, wo aufgehäuft sich finden die
Schätze unzähliger Bilder von wahrgenommenen Dingen aller Art. Dort ist auch
aufgehoben, was wir uns erdenken, Sinneseindrücke mehrend, mindernd oder irgendwie
verändernd, und was sonst zur Aufbewahrung dort niedergelegt wird, soweit nicht
Vergessenheit es verschlungen und begraben hat. Wenn ich dort weile und Befehl
gebe, man soll mir etwas bringen, was ich haben will, ist einiges bald zur
Stelle; anderes muß erst länger gesucht und gewissermaßen aus verborgenen
Schlupfwinkeln hervorgeholt werden; manches drängt sich haufenweis
heran, und während man doch nach anderem sucht und fragt, springt es einem in
den Weg, als sagte es: Sind wir´s vielleicht? Das verscheuche
ich dann mit der Hand des Geistes aus den Augen meiner Erinnerung, bis endlich
das Gewünschte aus Nebel und Versteck hervortritt und meinen Blicken erscheint.
Anderes bietet sich bequem und in wohlgeordneter Reihenfolge dar, wie man´s haben will, das Frühere macht dem Späteren Platz und
läßt sich aufbewahren, um, wenn ich´s brauche,
wiederum hervorzukommen. Das alles geschieht, wenn ich etwas, woran ich mich
erinnere, erzähle.“[39]
Ignoriert man, daß Augustinus hier von den sog. Gedächnis- und Erinnerungsbildern spricht, könnte man
versucht sein, seine Beschreibung als eine für das Verhältnis des modernen
Menschen zu den über Apparate vermittelten Bildern aufzufassen: Die Hallen sind
die Bildflächen unterschiedlichster Art, also Monitore, Bildschirme, Leinwände;
die Schätze die unterschiedlichsten Programme und Filme; befehlen läßt sich
heute mit der Fernbedienung, das Wegscheuchen ebenso. Nur in einem Punkt dieses
Anologisierens gibt es einen Unterschied ums Ganze:
Während nämlich nach Augustinus diese riesige Lebendigkeit des Gedächnisses dann sich in Bewegung setzt, wenn man erzählend spricht (vielleicht
meinte er hier aber eine Kausalbeziehung), wird die moderne Bildermaschinerie
gerade erst dann angeworfen, wenn der einzelne nicht erzählend spricht und sich nicht sprechend den Bildern der Erinnerung angeschlossen weiß. Im
einen Fall sind die Bilder Zulieferung, um den Selbstausdruck und die
Selbstbestimmung des sprechenden Wesens zu unterstützen; im anderen Fall sind
die Bilder die schmerzloseste Art und Weise, immer wieder daran erinnert zu
werden, daß man erfolglos zu ignorieren versucht, daß man nicht ist, nichts
bedeutet und nicht sich selbst gehört.[40]
Die Eigenartigkeit des Gedächnisses,
nicht die Dinge selbst, sondern, so Augustinus, nur die „Abbilder“ der
wahrgenommenen Dinge zu erinnern, da nur die Abbilder der Dinge durch die
verschiedenen Sinne einzutreten vermögen, sowie seine Eigenartigkeit, das
Erinnern selbst transmodal zu halten (man muß nicht
riechend erinnern, um sich eines Geruchs zu erinnern), wird komplett durch eine
bestimmte Indifferenz des Gedächnisses gegenüber dem
Besitz-Status des Erinnerten; denn alles im Gedächnis
sei erinnerbar, „ob ich´s nun selbst erfahren oder es
gläubig aufgenommen habe. Aus diesem Vorrat nehme ich die Bilder von allerlei
Dingen, mag ich sie selbst wahrgenommen oder auf Grund eigener Erfahrung andern
geglaubt haben [...] «Dies oder jenes will ich tun», so sage ich und greife
hinein in den ungeheuren Mantelsack meines Geistes voller Bilder, unzählig
vieler und großer, und dies oder jenes geschieht auch.“[41]
Augustinus beendet diesen Expeditionsabschnitt im Buch mit der Überzeugung,
genau zu wissen, welcher körperliche Sinn ihm ein jedes Bild eingeprägt habe.
Die Indifferenz gegenüber der Selbsterfahrenheit
und Fremderfahrenheit des Erinnerten kann sich Augustinus erlauben, da ihm das Gedächnis ein Mittel ist nicht nur zur Selbstverständigung,
sondern, wie schon gesagt, auch eines zum Auffinden Gottes. Zudem koppelt er
die Gedächnisleistungen an das aktive Involviertsein des sprechenden Erzählens; und schließlich
sind ihm die geistigen Wahrheiten nicht bildlich (und auch nicht durch die
Pforten des Leibes ins Gedächnis gekommen): alles
Punkte, die ihn ganz selbstverständlich davor schützen, im Mantelsack des
Geistes voller Bilder zu „ersticken“ resp. nicht mehr zwischen selbst und fremd oder real und fiktiv unterscheiden zu können. Zu guter
Letzt ist ihm Gedächnis die eigentliche Arena, in der
sich das Verstehen abspielt, und offen bleibt nur, ob das Gedächnis
auch durch sein eigenes Abbild vergegenwärtigt wird oder einfach durch sich
selbst.[42] Augustinus
kann sich an der Fülle der Gedächnisbilder erfreuen
und ihre Vielfalt begrüßen, weil er sie gedanklich dem Denken, der bilderlosen
Wahrheit und dem Willen Gottes subordiniert. Bilder sind schon immer im
Geschirr des Denkens, das zwar Zerstreuung braucht, um zu binden (cogo, ago, facio),
und als Denken zu passieren, aber sie sind niemals etwas vom Denken Nichteinsammelbares. So ist auch gewährleistet, daß
Augustinus Gott im Gedächnis zu finden vermag[43] und
daß als Nebeneffekt alles, was aus den
Blicken geraten ist, im Gedächnis festgehalten werden
und also wiedergefunden werden kann.
Man könnte nun versucht sein, diese „intrapsychische“ Beschreibung des Verhältnisses zwischen
denkendem Subjekt, seinem Erinnerungsvermögen und den Informations- und Mitteilungsträgern
namens Bilder als weiterhin gültigen Ansatz zur Beschreibung des Verhältnisses
zwischen etwas weniger denkenden Subjekten, den material apparativen Medien und
der Bildersoftware zu deuten, nicht zuletzt deswegen, weil die Fülle der Welt wie
schon zu Augustinus´ Zeiten weiterhin nur 2 Ohren, 2 Augen usw., eine Haut und
ein Hirn als Abnehmer zur Verfügung hat. Die Dimensionen dessen, was der Mensch
aufnehmen, verarbeiten und vergessen kann, dürften sich wohl nicht qualitativ
geändert haben (so sind diejenigen immer noch seltene Exemplare, die sich
tatsächlich auf zwei Dinge gleichzeitig konzentrieren können). — Es so zu sehen
hieße aber, einen nichtzurechtfertigenden Hiatus zwischen der einstürmenden und
vielfältigste Wandlungen ihrer Formen mitmachenden Welt und einer sich davon
völlig unbeeindruckt zeigenden stabilen Weltverarbeitungsstruktur des
kognitiven Menschen zu setzen in der Tradition des gespaltenen res. Es hieße zudem, einem hardcore-anthropologischen Ansatz zu folgen, dem die Diversitäten der Kultur, der Sprache und auch der Erfahrungsverarbeitungsformen
selbst bloß variierendes Material wäre für eine Handvoll essentieller
anthropologischer Handlungsnotwendigkeiten.[44] Es
scheint daher vielleicht hilfreicher, davon auszugehen, daß die maßlos gewordene
Extraktion des Bildhaften aus den bis dahin nur möglichen Formaten des
Bewußtseins und des Gedächnisses (und natürlich des
Traumes) und die ebenso maßlose wie weiterhin unklare „Verkörperung“ der Bilder
in apparativen „Trägern“ für die Formen der Verarbeitung von Welt und die
Formen der Weltkontaktaufnahme einen permanenten Anpassungsdruck verursachen,
der sich zur Zeit priviligiert zur Gestalt bringt in
einem wahrnehmungslosen Sehen, in einer sich selbst äußerlich gewordenen
Erinnerung und in einem noch schleichenden Zerfall der direkten und indirekten
(Ver-)Bindungen des einzelnen Menschen mit den maßgebenden gesellschaftlichen
Verkehrs- und Vermittlungsflüssen. Und genau hier, an der Stelle, an der nicht
mehr gesellschaftlich verbürgt ist, daß man an der Gesellschaft so ohne
weiteres im Sinne der Inklusion beteiligt ist, stellt sich eine Komplementarität ein zu dem Verhältnis des einzelnen
Individuums und den ihn vereinnehmenden Bildern: So wie der Gedanke einer
Einheit erst den anderen einer Vielheit produziert und Vielheit überhaupt erst
als reduzierbar erscheinen kann durch „Vereinheitlichung“[45], so
werden die maßlosen Bilder erst dann zeichenhaft und also für etwas anderes da,
wenn sie mittels Kognition, also erinnerndem Referieren mit etwas jenseits
ihrer selbst verbunden werden können, nicht im Sinne des Abbildens, sondern im
Sinne des Interferierens, des Inspirierens, des Anschliessens.
In beiden Dimensionen scheint dieses Ozillieren nicht
mehr wie gewohnt machbar zu sein: Weder der Staat als Sozialisationsinstanz,
als Pazifizierungs- und Unterdrückungsinstanz, als
Einheit, weder die sogenannten höheraggregierten
intersubjektiven Öffentlichkeiten auf der einen Seite, noch das Bewußtsein, der
Wille, das Selbst, Ich, die Vernunft als transmodale
Verfügungsmacht auf der anderen Seite schaffen es weiterhin, die jeweils
spezifizierte Unterscheidung Einheit/Vielheit in sich selbst
grenzüberschreitend zu lassen. Wenn aber die Fähigkeit des Bündelns (von
Gewalt, Macht, Informationen, Erinnerungsbildern, Vorstellungen) allmählich
verloren geht, dann auch der Tatbestand der Zerstreuung, der Unordnung, der
Auflösung, des Gestaltlosen, Ungebildeten, des Mannigfaltigen.[46] Das
Verhindern des Verlorengehens einer privilegierten Beziehung zwischen (dem Bedürfnis
nach) Vielfältigem und (dem Bedürfnis nach) Einheit funktioniert genau so
lange, wie es die Begriffe System, Kommunikation und Information schaffen, als
höchst abstrakte Einheitsordnungen zu gelten. Denn sie behaupten weiterhin, daß
es das Dual Vielheit/Einheit gibt, sei es in Gestalt der angenommenen Unterscheidungseinheit
Umwelt/System, in Gestalt der Unterscheidungseinheit Sinnpotentialität/Sinnaktualität
oder in Gestalt der Unterscheidung noise/order. Immer
ist ein Mehr im Spiel, ein Komplexeres, ein Noch-nicht-Dazugehöriges, das erst
ein Vermitteln, ein Erfassen, ein Vereinnehmen und Aneignen überhaupt möglich
macht.[47] Hier
ist die These Baudrillards, daß uns nur noch qua
eines kollektiven Reflexes der Leichgläubigkeit ein gigantisches Prinzip der
Ungläubigkeit, der heimlichen Gefühlskälte und der Ablehnung jeder
gesellschaftlichen Bindung nicht jetzt schon in den Haß und die erlebte
Indifferenz treiben, genau treffend. „Wir befinden uns in einem schlafwandlerischen
sozialen Zustand: abwesend, ausgelöscht, in unseren eigenen Augen ohne
Bedeutung. Zerstreut, verantwortungslos, entnervt. Man hat uns den Sehnerv
belassen, aber alle übrigen hat man entnervt. Dies hat die Information mit dem
Sezieren gemeinsam: sie isoliert einen Wahrnehmungskreislauf, unterbricht aber
die aktiven Funktionen. Es bleibt nur noch der mentale Bildschirm der Indifferenz,
welcher der technischen Indifferenz der Bilder entspricht.“[48]
V Die gesellschaftliche Realität der Realität der Bilder
Die letzte der zu Beginn
gestellten vier Fragen,
Wie funktioniert Erinnerung?;
Gibt es in der Zeit der Gegenwart Erfahrung?; In welcher Wirklichkeit bin ich
in der Welt?; Welche Realität haben Bilder?, war bis hierhin die Ausrichtung
des Gesagten. Antworten liesse sich nun, daß Bilder
keine Realität haben, sondern
vielmehr qua technischer Perfektionierung die Unangewiesenheit des einzelnen
auf eine festgelegte Realität (des Sozialen, des Kommunikativen, des
Interagierens) in einer bestimmten Art steigern, so daß eine Affinität sich einzustellen
beginnt zwischen der zunehmenden Unmöglichkeit konsensierter
sozialer Bindungen, der zunehmenden Unmöglichkeit sozioökonomischer Sicherheit,
der zunehmenden Unmöglichkeit, Handlungen, Verhalten, Empfindungen und Objektivationen von sich und anderen durch Sinn fürs
Verstehen zu sichern, der zunehmenden Unmöglichkeit, das Selbst nicht als
nichtig und überflüssig wahrzunehmen, und der zunehmenden Möglichkeit, sich
somnambul in Bildern zu absentieren und dies zugleich immer noch mit der ganzen
psychosozialen Ausstattung (Bewußtsein, Erleben, Handeln) vergegenwärtigbar
zu halten. In Bildern leben heisst implizit Abschied
genommen zu haben von Vorhaben, in den Dimensionen des anthropologischen und
sozialen Raumes geschichtlich zu arbeiten, gleichsam aber noch darauf
angewiesen zu sein, sich seiner eigen anthropologischen und sozialen
Verfasstheit zu subordinieren, solange es kein
Substitut gibt für die besondere Materie des menschlichen Lebens.[49] Die
hier behauptete Bedeutung der Bilder steht in engem Kontakt zu einem Wechsel
der Bedeutung von Körper und Wissen, wie ihn Konrad Cramer[50] anbietet: "Und so sind wir der Überzeugung,
daß unser Wissen darüber, daß wir ein materieller Körper sind, wie all unser
Wissen, von der Existenz dieses materiellen Körpers und seiner spezifischen
Organisationsform abhängt. Hingegen sind wir durchaus nicht der Überzeugung,
daß die Existenz dieses oder einen anderen materiellen Körpers davon abhängt,
daß wir wissen, daß sie existieren." - Könnte es sein, daß die
Verkörperung von Wissen, als die die sozio-kulturelle,
also wissenschaftlich-technologische Zvilisationierung
vordringlich betracht werden kann, den materiellen Körpern, die in dieser Zivilisationierung hausen, ihren Gewißheits- und
Überzeugungsbonus für Existenz entrissen haben? So daß, umgedreht oder
vielleicht auf einer höheren Emergenzstufe, die Existenz
materieller Körper abhängig zu werden beginnt von einer spezifischen Organisationsform
des Wissens? Um so zu fragen, muß angenommen werden, daß das, was im Gefolge
Durkheims und Luhmanns konstatiert wurde, nochmals einen Sprung von Quantität
zu Qualität gemacht hat resp. im Springen begriffen ist. Konstatiert wurde,
daß die Sozialität namens Gesellschaft als Entität, als eigenes Reich, als eigenwertig sich organisierendes System aufzufassen sei,
zu dem Menschen keinen Zugang haben, auch und gerade wenn sie durch Gesellschaftlichkeit
ihrer Interaktionen und Kommunikationen hindurch in dieser Sozialität unrekonstruierbar
verwoben sind. Marxistisch und vielleicht etwas zu abstrakt wird dieser
eigentümliche Sachverhalt dadurch rekonstruiert, indem das primäre und sich
fortentwickelte Ausbeutungsverhältnis zwischen solchen, die leben, ohne zu
produzieren, und solchen, die produzieren, ohne zu leben, als
Daseinszusammenhang identifiziert wird, insoweit die Aneignung die durch die
Ausbeutung gebrochene Praxis im Modus des Daseins wiederherstellt, sodaß geschlußfolgert werden kann: Die Wiederherstellung
der praktischen Wirklichkeit des menschlichen Seins einzig nur im Modus der
Negation seiner Wirklichkeit als Praxis ist die Grundkonstitution der Daseinsverflechtung
der Menschen in ihrer quasi individualistischen 'Vergesellschaftung'. Gesellschaft
also als existierendes Derivat des Prozessierens der Negation von
Wirklichkeitspraxis zugunsten der Wirklichkeit des Praxisnegierens, innerhalb
der der einzelne durch die Gesellschaft angesaugt wird als vergesellschafteter
Einziger.[51] Nach Auflösung des fragegenerierenden Hiatus
Individuum vs. Gesellschaft zu einer nicht mehr relevanten soziologischen
Fragestellung blieb in der Folgezeit dennoch diese Form des Hiatus gewahrt in
Gestalt der einige Begriffsetagen tiefer anzusetzenden Unterscheidungsseiten
Körper vs. Geist. Auch Konrad Cramer rekurriert auf diese Mutterunterscheidung
Decartes'; begeht dabei aber (unbeabsichtigt?) eine
Uneindeutigkeit in der Terminologie, die schon erste Abstriche in der
Überzeugungsqualität materieller Körper für ihre Existenz und die ihres Gewußtwerdens durchschimmern läßt. Denn: Die Rede von Existenz
materieller Körper und ihren spezifischen Organisationsformen als Bedingung
der Möglichkeit von Existenz unseres diesbezüglichen Wissens läßt unklar, ob
vom materiellen Körper als einer besonderen und nur so seienden Materie
gesprochen wird, oder eben vom materiellen Körper als einer spezifischen Organisation
von Materie.[52] Könnte es sein, daß der materielle Körper (des
Menschen) in seiner bisherigen Gestalt als nicht weiter zu reduzierendes
"Ding" in der Welt beinahe lückenloser Verkörperung von immateriellen
Dingen (Virtualität?) nun in eine Ableitungsposition rutscht? Also sich selbst
in einem neuen Verweisungszusammenhang wiederfindet, in dem die Materialität
der Verkörperung materieller Körper nicht mehr dasjenige Merkmal oder
diejenige Eigenschaft ausmacht, um das unter dem Begriff Körper Subsumierte
begrifflich ausreichend zu fassen? Also zu sich selbst als materieller Körper
ein neues Distanzverhältnis gewinnt dadurch, daß seine Materialität und seine
Körperlichkeit nur eine Möglichkeit und nicht mehr eine Notwendigkeit dafür
ist, von einer Existenz sagen zu können, daß sie gewiß und nicht abhängig von
ihrer Kognitivierung, mentalen Verkörperung und
Reflexion ist? Und daß also schließlich die Körperlichkeit des Körpers nicht
mehr als irreversible Bedingung für die Existenz der Verkörperung von Wissen
gilt, sondern daß die Existenz je-weiliger, also
temporärer Körperlichkeit des Körpers hundertprozentiger Effekt wird einer
jeweiligen temporären Verkörperlichung von Wissen?
- Vielleicht darf man es auch so spekulativ sagen: In dem Moment, wo die
kapitalistische Gesellschaft beginnt, ihre orginäre
Konstitution, nämlich abstrakte Vermittlung, nicht mehr nur als Unmittelbarkeit
darzutun, sondern via hyperformatiger Technologisierung von Virtualität[53] sich eine Art materielle Infrastruktur der unkörperlichen
Verkörperung von Wissen zulegt, in diesem Moment entsteht das Phantasma einer erneuten Sozialität resp. einer erneuerten
Form von Soziabilität, das Bild einer Organisation
von gesellschaftlicher Organisation (von Wissen), also die Vorstellung des Organismischwerdens gesellschaftlicher Organisation,
kurz: Der Wunsch, daß die gesellschaftspenetrierende Verkörperung von Unkörperlichkeit
selbst einen Körper generiert, der er dann ist[54]; und dieser Wunsch (salopp: daß der Weltgeist,
die weltweite kapitalistische Konkurrenz der Wertverwertung, sein eigener Körper
wird)[55] bezieht seine Strenge aus der immer größer
werdenden Vereinnahmungskraft der hochtechnologischen Bilder, die damit ihre
bisherige Funktion der Abbildung von etwas zugunsten der neuen Funktion der
blinden Zeitvernichtung auszuwechseln beginnen.
Ist das der technologische
Kommunismus, vom dem Robert Kurz einst sprach, oder ist die gesamte telekommunikative
Infrastrukturierung spätkapitalistischer Gesellschaften nur die letzte Form
einer Explosionskontrolle, die mit dem Beginn der bürgerlichen Gesellschaft,
verstanden als Beginn einer Katastrophe resp. einer Verarbeitung von Todesangst[56], ihren Anfang nahm?; eine letzte Form, nicht die Erde
als Raumschiff aufzufassen und dementsprechend zu handeln, und auch nicht
ein Raumschiff für die Flucht in den Weltraum zu bauen, sondern mit dem
telekommunikativen Vernetzungskörper ein Raumschiff für die unbewohn- und
unlebbar gemachte artifizielle Gesellschaft, die vor 10000 Jahren ihren Anlauf
nahm (Popitz), konstruiert zu haben, um nun im Information-Zeitschiff vollständig in die Beobachtung zweiter
Ordnung aufzugehen und also abgekoppelt zu sein von der Beobachtung erster
Ordnung, in der es weiterhin Krieg, Ausbeutung, Überlebensamokläufe,
gebrechliche Körper und das allgegenwärtige Sterben gibt? Was das selbsterhaltungsorientierte
kalkulierende Bewußtsein mit seinem je-weiligen
Körper tat, das wiederholt sich jetzt im Verhältnis der infrastrukturierten
Virtualitätskörperschaft mit den noch die räumliche Dimension benutzenden
weltlichen Körperschaften namens Menschen, Gesellschaft und Erde. Die Entwicklung
geschichtlicher Gesellschaft bestand wesentlich darin, immer mehr Umwege in
Kauf zu nehmen, um das zu erreichen, was gewollt oder nötig war. Mit Übergang
der Technik von Instrument zu Werkzeug wurden die Vermittlungen vielfältiger
und komplexer. Man produzierte Mittel für Mittel für Mittel... für Zwecke, die
ihrerseits wieder als Mittel für Zwecke eingesetzt wurden. Die zunehmende
Angewiesenheit einzelner Handlungen, Ereignisse und Menschen auf ein sie
zusammenbindendes und auch zusammenhaltendes Ziel erforderte es, dem vielfältig,
disparat und zudem gleichzeitig Passierenden außerhalb der konkreten
Gegenwart eine einheitverbürgende Gestalt zu geben.
Für die Technik wurde dies der Plan, für die produzierende Gesellschaft die
zukünftige Zeit. Die beginnende Vergesellschaftung des Sich-Ernährens,
Sich-Wärmens, Sich-Sozialisierens,
Sich-Bildens, Sich-Erhaltens
und Sich-Schaffens umfasste eine Masse an zu
koordinierenden Parametern, die nicht mehr in der gegenwärtigen Zeit zu
organisieren war: Erwartungs-, Antizipationshorizonte mussten an den Erfahrungsraum
"angebaut" werden, da die Bewirtschaftung der nun gesellschaftlichen
Daseinssorge nicht mehr ohne Bewirtschaftung und Rationalisierung von Zeit
möglich war.[57] Dabei geht die Abstraktion/Reduktion unendlich vieler
verschiedener Zeiten und Zeitrhythmen auf ihre Uhr-Zeit-Kompatibilität in
eins mit der Abstraktion raumausfüllenden Welt-Materials auf analyse- und synthesefähige
Bestandteile; Verläßlichkeit der Zeit und Verläßlichkeit kontrollierter Welt
bedingten sich.[58]
Mit der im Text behaupteten
Bedeutung von Bildern als konkurrenzierende Aufenthaltsorte zu denen des Raumes
hören Verläßlichkeit und Kontrolle zumindest in Ansätzen auf; sie sind nicht
mehr notwendig. In Bildern leben heißt, mit seiner eigenen Verlassenheit
verbunden zu sein, heißt Unkontrollierbarkeit (im Sinne der contre-rôle), heißt unwissende
permanente Obacht ohne jemals sich einstellendes Obdach. Die Kapseln sind
geschlossen. Sie öffnen sich, wenn überhaupt, nur noch in einer unzugänglichen
Dunkelheit. In Bildern leben heißt, eines von den Glanville´schen
Objekten geworden zu sein, das zugleich ein Kein-anderes-Objekt-Beobachtendes
und ein Von-keinem-anderen-Objekt-Beobachtetes „ist“.
Ein solches Objekt, so Glanville, bewohnt das
Universum anderen unbekannt. Es weiß nicht, daß es das Universum bewohnt, noch
weiß das Universum, daß es ein Bewohner ist. Das wäre etwas unterhalb von Gott,
der nicht da ist, nicht gesehen wird, und dennoch sieht, und etwas oberhalb vom
Tod, der nichts mehr sieht, aber voll und nur noch da ist; es wäre der Bereich,
in dem der gesellschaftliche Mensch (nicht die biologische, lebendige, Schmerz,
Freude, Angst empfinden könnende Kreatur namens Mensch) endlich kurzschliessen würde mit der Voraussetzung seiner geschaffenen
Welt, nämlich mit der Blindheit und Taubheit[59]
als Voraussetzung für die Realität seiner Welt. Die bisher tätige
Übersetzungsmaschine, die die Wirklichkeit des Weltseins an der Referenz des Blind-und-taub-in-der-Welt-Seins ausrichtete und die
Übersetzungsprodukte als Realität ausmachte, wurde Bewußtsein genannt (ob als
objektiver Geist, Selbstbewußtsein oder als intersubjektiv kommunizierendes
Bewußtsein). Das Bewußtsein hat sich, so hier die These, zurückgezogen auf die
Funktion, sich beim Von-Bildern-geträumt-werden-Lassen
zuzuschauen.
Was, nach diesem Höhepunkt
elenden Vergeudens einer kurz von Sorge befreiten Zeit, kommt danach? Also nach
dem exzessiv dominohaften Ins-Bild-Holen
zuerst des Denkens, dann des Fühlens, des Begehrens, des geistig-kulturellen
Lebens? Der Körper? Aber gerade der Körper bzw. seine Organisation der
Selbststeuerung (sowohl nach innen wie nach außen) ist für eine bestimmte Form
der Wissenschaft gerade das Bedingungsensemble dafür, daß alles in Bildern
gearbeitet wird.[60]
Was also kommt nach den
Bildern?
[1] So der Titel eines Artikels von Stephen Greenblatt (in: Berliner Zeitung, 03.12.97, Beilage, pVI-VII). Der zentrale plausibilisierende
Satz ist: „Über uns allen schwebt ein Todesurteil, dem gegenüber uns die
Literatur wenn schon keine Ausflucht, so doch zumindest den Traum von einem
Wechsel des Gerichtsstandes bietet.“ - Bietet die ‘Traumfabrik’ Hollywood noch
denselben Traum von einem Wechsel des Gerichtsstandes an?
[2] Zum abstrakten Raum, der den absoluten
‘abgelöst’ hat, schreibt Henri Lefebvre (Production de l´espace
[1974], engl. Ausgabe, Oxford 1991, p50):
„Abstract space relates negatively to that which perceives and underpins it -
namely, the historical and religio-political spheres. It also relates
negatively to something which it carries within itself and which seeks to
emerge from it: a differential space-time. It has nothing of a ‘subject’ about
it, yet it acts like a subject in that it transports and maintains specific social
relations, dissolves others and stands opposed to yet others. It functions positively vis-à-vis its own
implications: technology, applied sciences, and knowledge bound to power.“ - Gehört die Realität der Bilder noch in diese
Abstraktion des Raumes?
[3] Siehe zu diesem Ensemble und zum
Paraphrasieren eines „pictural turn“ den von
Christian Kravagna herausgegebenen Band Privileg Blick. Kritik der visuellen Kultur,
Berlin 1997.
[4] Man braucht nur mehrere Blicke in
unterschiedlich alte deutsche Wörterbücher zu werfen, um gewahr zu werden, daß
unter dem Wort Bild ein großes, unüberschaubares Bedeutungsreich herrscht; von
den Definitionsversuchen, die Bilder als orginär
plastisches Kunstwerk und erst später als Name für Flächenhaftes ausweisen,
über Definitionen, die das Bild beschreiben als die lebende Gestalt, figura und persona selbst, bis hin zu Ausführungen,
die besagen, daß Bilder Sachen sein können, die den anderen zum Symbol, zum Zeichen
dienen. Daß Bilder bloße Vorstellungen sind, die wir uns in Gedanken machen, um
andere Vorstellungen in ihnen mitzuteilen, scheint,
trotz Augustinus, eine Vorstellung erst jüngeren Datums zu sein, zumindest was
die Verbreitung betrifft.
[5] Georg Seeßlen, Mediopoly: die Sex-Variante, Teil 1, in: konkret,
Heft 2/98, p52-55, hier: p53.
[6] Siegfried J.Schmidt, Medien = Kultur?, Bern 1994, p67.
[7] Luhmann hat sich für die Form der
theoretischen Fassung entschieden, da nur so die Zuständigkeitsgrenzen einer Diziplin nicht mehr durch die gegenständliche Umwelt
festgelegt, sondern Artefakte des Wissenschaftssystems werden. Die Konsequenzen
sind unter anderem die, „daß konstituierende Problemstellungen immer schon
gelöste Probleme betreffen, sie wären sonst selbst nicht möglich. Sie können,
da selbstreferentiell gebaut, auch nicht eigentlich begründet werden. Aber jede
antwortende Theorie muß dann den Zusatztest durchlaufen, ob sie auch die
Bedingungen der Möglichkeit ihrer Problemstellung miteinbeziehen kann. An die
Stelle einer Begründung tritt gewissermaßen dieser Selbstreferenztest“ (Wie ist soziale Ordnung möglich?, in: Ders., Gesellschaftsstruktur und Semantik. Studien zur Wissenssoziologie der
modernen Gesellschaft, Bd.2, FFM 1993 (1981), p195-285, hier: p196).
[8] So Jan Assmann, Wenn die Kette des Nachmachens zerreißt. Fünf Stufen zur Überlieferung:
Tradition und Schriftkultur im alten Israel und frühen Judentum, in:
Berliner Zeitung, 03.12.97 (Beilage, pII).
[9] Adornos antimetaphsysischer
und antiontologischer Satz, es sei „ein Fehlschluß, was dauert, sei wahrer, als
was vergeht“ (Zur Metakritik der Erkenntnistheorie.
Studien über Husserl und die phänomenologischen Antinomien, FFM 1970, p25), wird heutzutage
systemtheoretisch auslegbar in den erkenntnistheoretischen Imperativ,
Täuschungen auf Zeit hinzubekommen bzw. auslegbar in die Aufforderung zur
systemischen Lüge als Bedingung der Systembildung bzw. auslegbar in den Satz Ranulph Glanvilles, daß wir in
einer Welt der Interaktionen leben, „in der wir distinguierte und exakte Lügen
erzählen und nichts anderes erzählen können“ (Objekte, (dt.), Berlin 1988, p192). Es geht also nicht mehr darum,
nicht getäuscht werden zu wollen, sondern, so die Erkenntnisse der Hirn-,
System- und second order cybernetic-Forschung, darum,
daß wir getäuscht zu sein haben, um überhaupt zu ‘sein’. Die Täuschung als das
Wahre ; allerdings nur in der subreflexiven Dimension des Wahrnehmens und
Operierens. - Einen viel weitergehenden und faszinierenden Konnex zwischen
Adorno und den Möglichkeiten des avancierten Computing
entwirft Hans Peter Weber in seinem Aufsatz SR
Survival Research/ Abschreibsysteme um 1980/2000
(1998, unveröffentlichtes Manuskript) mit der These, die „Selbst-Deprivation
der ‘Ästhetischen Theorie’ auf dem Siedepunkt (Adorno) fördert -kryptisch- die
Arbeitsweise der prosaischen generativen Einbildungskraft, des Computing, zutage“ (p1).
[10] Ders., Confessiones, dt.
u. mit einer Einführung von Wilhelm Thimme, 8.Aufl.,
München 1997, p272ff.
[11] Das heißt dann, vielleicht etwas überhöht,
sich Adornos Aufforderung anzuschliessen, nämlich dem
Antlitz des Grauens standzuhalten, oder, Lacan ernstnehmend,
Angst bekommen wollen müssen, da nur die Angst dasjenige ist, was nicht
täuscht. - Die äußerst starke Gegensicht wäre die, davon auszugehen, daß jeder
in irgendeinem Zusammenhang getäuscht werden will, und daß zudem das Gegenteil
von Täuschung nicht Wahrheit ist, sondern vielmehr die Indifferenz gegenüber
der Unterscheidung Wahrheit/Täuschung (so Herbert Neidhöfer).
Siehe auch die Unterscheidung zwischen dem Sehen der Gorgonen
und dem der Leere bei Niklas Luhmann, Sthenographie, in: derselbe u.a.: Beobachter. Konvergenz der Erkenntnistheorien?, 2.Aufl., München
1992, p119-137.
[12] „Mit der Abbildung der Realität durch die
Fotographie meinte man gleichzeitig ein Bild dieser Wirklichkeit von objektiver
Qualität zu besitzen.Im Laufe der rapiden Entwicklung
elektronischer Medien, durch die Realität jederzeit abrufbar erscheint, wird
dem Bild sogar ein größerer Wahrheitsgehalt zugesprochen als dem Abgebildeten
selbst: das Bild der Realität wird selbst zur Realität. Und wer vermag im
Zeitalter der Simulation überhaupt noch von 'der Realität' als
Wahrnehmungskategorie sprechen?“, so im Begleittext zu Fotos von Bernhard
Widmanns Ausstellung „System Immanent“,
in: Das BildForum, Begleitband zur Veranstaltung „4.
Internationale Fototage Herten ´97“, p108.
[13] Aber nicht nur das: Denn solange es weiterhin
„symbolische Systeme gibt, die sprachlich verdichtet und sprachlich vermittelt
sind, ist der einzelne Mensch davor gefeit, sich völlig, nach Art des Autismus,
in sich selbst zurückzuziehen und etwa nur noch mit seinen Bildern zu leben.“ -
So Dietmar Kamper in seinem Beitrag Umgang mit der Zeit. Paradoxe Wiederholungen,
in: Wolfgang Kaempfer, Die Zeit und die Uhren, FFM/Leibzig 1991,
p243-351, hier: p268f.
[14] Vielleicht kann man die Ambivalenz anders
besser umschreiben, wenn man auf das Phänomen der sogenannten snuff-movies
kommt. Der Film bezieht seinen Kick aus dem Abbilden des Momentes, in dem das
Opfer realisiert, daß es wirklich und nicht nur im Fim
umgebracht wird; es geht also um den Moment, in dem der Film dasjenige
Schrecken in Bildern einfangen kann, das sich rein der Erkenntnis verdankt, daß
es sich nicht bloß um die Produktion von Bildern handelt, sondern daß etwas
passiert, was jenseits der Bilderwirklichkeit liegt. Aber: Dieses Nicht-als-Bild-Passieren
passiert nur, weil es im Bild passiert, und das Im-Bild-Passieren passiert nur,
weil nicht mehr getäuscht wird.
[15] Jean Baudrillard, Das perfekte Verbrechen, dt., München
1996, p19.
[16] Ders., Wirklichkeit nach Maß, in: Frankfurter
Rundschau, 29.12.97, p9.
[17] Es ist meines Erachtens nicht utopisch
anzunehmen, daß in 20 bis 30 Jahren die jetzige Art der Generierung von Subjektperspektivität der space-Bilderwirklichkeit über
Interaktion der Bilderberechnung mit dem Datenproduzenten namens räumlicher user-Körper
als Einschränkung der Bilderraumentfaltung angesehen wird und man dazu
übergeht, Schnittstellen zu errichten zwischen den Neuonen
des Menschen und telepathie-fähigen Bildererrechnungsmaschinen,
vorausgesetzt natürlich, die Auffassung hat sich gefestigt, nach der Bewußtsein
(mit seinen Elementen Gedanke und Vorstellung) eine Angelegenheit des Hirns
ist.
[18] Wobei natürlich umstritten ist, ob in der
Hegelschen Theorie immanent noch Platz war für ein Außerhalb, ging doch seine Theorie davon aus, daß es einen
Zeitpunkt gibt, von dem an es keine Widersprüche mehr zu vermitteln und in Form
bestimmt zu bestimmen gibt; das Ganze wäre das Wahre geworden. Das Außerhalb Hegelscher Theorie vertrat
vielleicht nur noch die Irreversibilität der Zeit, also die Unmöglichkeit, daß
sich die Theorie selbst zurücknehmen kann.
[19] Die Höhle der Bilder ist das genaue Gegenteil
zur Hölle. In der Regel wird die sog. Bilderwiederholrate, also die Anzahl des
Bildaufbaus auf dem Montor pro Sekunde, oberhalb von
80 Hz ‘gefahren’, das heißt flimmerfrei fürs menschliche Auge. Flimmerfreie
Bilder bedeutet, daß Bilder nicht mehr flammen, also nicht mehr brennen,
glühen, lodern. Je weniger flagrant (brennend) sie sind, desto größer die
Sucht, in Bildern etwas in flagranti (also das noch warme Verbrechen) zu
packen.
[20] Vielleicht ist auch hier wieder ein
Zusammenhang von Idolatrie und schriftlich
verordnetem Ikonoklasmus (Torah)
auffindbar: Denn neben der Funktion von Bildermaschinen, das Unsichtbare
sichtbar zu machen (einer der ‘letzten’ Stände: holographische
Interferometrie-Kameras mit einer holographischen
Auflösung von bis zu 2,8 tausendstel Millimeter), wird die Hauptfähigkeit von
Bildern gegenüber anderen Medien darin gesehen, daß sie ‘emotional’ berühren, daß
sie berühren (sollen). Je stärker die Autorität des Bilderverbots implizit
weiterwirkt, während gleichzeitig das „res“ der Bildersignien,
nämlich das Göttliche, aus der Vorstellung verschwunden ist, desto stärker das
Bedürfnis der Menschen, dem in der abstrakten Gesellschaft wirksamen Verbot des don´t touch (Kamper) dadurch zu
entgehen, indem dort touch
gesucht wird, wo materiale Berührung unmöglich ist. Mit verbotenen Bildern also
in Kontakt treten als zumeist nichtbewußte Erinnerung daran, daß es doch einmal
einen Kontakt gegeben haben muß zwischen Gott und Mensch, der sich als Kontakt
aber nur ex-negativo, eben durch das Verbot, realisierte.
[21] Herbert Neidhöfer,
unveröffentlichte Briefe.
[22] „The contact of human mind with reality is
so slight that two thousand years
of epistemology have not been able to decide
exactly what the nexus is“,
so ein Satz von Joseph Wood Krutch, den John Rudolf
Weinberg seiner Arbeit Der
Wirklichkeitskontakt - und seine philosophischen Deutungen (Meisenheim
1971) als Motto voranstellte.
[23] Volkmar Sigusch, Metamorphosen von Leben und Tod. Ausblick
auf eine Theorie der Hylomatie, in: Psyche.
Zeitschrift für Psychoanalyse und ihre Anwendungen, Heft 9/10, 1997, p835-874.
[24] Der Vorschlag, nicht mehr von Erkenntnis als
Struktur oder Objekt, sondern von Erkennen als Ereignis und Operation zu reden,
stammt in seiner jüngsten Version von Humberto R. Maturana
und Francisco Varela.
[25] So Herausgeber Hans Rudi Fischer in seinem
Vorwort zu Georg Spencer-Brown, Wahrscheinlichkeit
und Wissenschaft, (dt.), Heidelberg 1996 (London 1957), p7. Daß es nur
unsere Erwartungen sind, die die festen Weltgegenstände ausweisen mit Realität,
stimmt so nicht; jedenfalls nicht, wenn man die Forschungen Jean Piagets
berücksichtigt, der die operativen Vorgänge für Konstatierung und
Gestaltidentifizierung weit unterhalb von Erwartungen ansetzen läßt.
[26] Dataglove bezeichnet einen immersiven
Handschuh, der mit Sensoren ausgestattet ist, die die Bewegungen von Hand und
Fingern erkennen und an sog. VR-Anwendungen weitergeben, womit das sog.
Interagieren mit 3D-Umgebungen und -Objekten möglich wird; head mounted display
bezeichnet einen immersiven Helm zur
dreidimensionalen Betrachtung von VR-Anwendungen. Der Helm besitzt sog. headtracker, das
sind Sensoren, die die Kopfbewegungen erkennen und das ausgegebene Bild je nach
Kopfbewegung verändern, und für jedes Auge einen
eigenen LC-Monitor. Ziel der ganzen
Ausrüstung ist, sich in den erzeugten Bildern, die die Dreidimensionalität im
Kopf des Betrachters erzeugen, schauend bewegen zu können.
[27] Offen bleibt nur, ob dieses Nichtwegsehenkönnen ein Erstarren ist, wie es sich
einstellt, wenn man von Stheno angeschaut wird, und
also die Bilderexplosion in kausalem Zusammenhang steht zur vollständigen
Erstarrung des Angeschauten, der nur noch angeschaut schauen kann, also immer
nie sieht, aber dafür unendlich viele verschiedene Bilder bekommt, die die
Blindheit verunsichtbaren; oder ob, wie Baudrillard meint, jedes beobachtende Vehikel seinen
eigenen Spiegel verschluckt hat, also nur noch sein eigenes Anschauen und Angeschautwerden zu sehen vermag, also noch wissen können
kann, daß Erkennen (im alten Sinne) noch möglich ist, sich allerdings auf die
andere Seite, die Außenseite, verschoben hat (Ranulph
Glanvilles These, daß nur noch die Objekte beobachten
können).
[28] Man denke an den einfachen Fall, einen Baum zu
sehen. Man sieht den dortigen Baum hier - hier bei sich, auf seiner Netzhaut,
in seinem Gehirn. Und denkt man weiter, dann beginnt oft eine Ozillation derart, ob das Dortsein
des Baumes hier im Gehirn entsteht, oder das Hiersein des Baumbildes vom dortigen
Baum ausgeht. Verändert sich aber das Gehirn hier in seiner Perspektive,
verändern sich auch die Baumbilder hier, während der Baum dort unverändert
bleibt. Aber das Unverändertbleiben des Baumes kann
ich nicht mehr sehen, also nicht mehr qua Selbstreferenz meines Sehens als
Fremdreferenz des Baumes vorstellen; das Unverändertbleiben
oder das Unabhängigsein des Baumes von meinem Bild vom ihm ist Produkt der
Beziehung zwischen mir und dem Baum; und diese Beziehung gehört nicht mir - im
Sinne von ‘Ich bin derjenige, der die Welt unterscheidet in Selbstreferenz und
Fremdreferenz’ -, sondern ich gehöre ihr an. Dies ist eine antikonstruktivistische
Aussage.
[29] Niklas Luhmann, Die Realität der Massenmedien, 2., erw.Aufl.,
Opladen 1996, p17.
[30] Für Baudrillard (Das perfekte Verbrechen, a.a.O., p49)
wäre diese Unterscheidungslosigkeit allerdings keine nur den 3D-imaginierenden
Bildern zukommende Eigenschaft, sondern in diesen bloß am Spektakulärsten
ersichtlich, denn: „Wir brauchen keinen Helm und keinen Digitalanzug: unser
Wille bewegt sich in der Welt schon wie in einem synthetischen Bild. Wir alle
haben unseren Empfänger verschluckt [..].“
[31] Das re-entry als
paradoxes Paradoxiemanagement, das den Wiedereintritt einer Unterscheidung in
das von ihr Unterschiedene möglich macht - the same is the
different -, ist hier deswegen nicht möglich, weil es nur für Beobachtungen
zweiter Ordnung zuständig ist; das Im-Bild-Sein der
VR bleibt hingegen eine Beobachtung erster Ordnung, auch wenn es (analytisch
betrachtet?) eine der dritten oder vierten Ordnung ist. Auf jeden Fall kann
nicht mehr gesehen werden, was nicht gesehen wird, während gesehen wird.
[32] Aus der antiken Mythologie ist wenig zu holen,
was für den gegenwärtigen Behauptungszusammenhang erhellendes Analogon wäre.
Außer, daß er sich von Heras Angebot, er könne die Grazie Pasithea
zur Frau haben, bestechen ließ, und ihren Wunsch erfüllte, indem er Zeus
einschläferte. Hypnos ließ sich also von etwas
animieren, was gemeinhin bedeutet wird als wenig mehr denn abstrakte
Personifizierung von Anmut, Schönheit und Freundschaft, so Michael Grant und
John Hazel (Lexikon der antiken Mythen
und Gestalten, dt., 7.Aufl., München 1990, p164f.). Man könnte auch
anstelle von Hypnose vielleicht treffender von unkörperlichem Somnambulismus
sprechen (vielleicht gar von Somnolenz), weil in
diesem Wort das Wort ambulare
drinsteckt (herumgehen, nicht ortsgebunden), von dem die Etymologie sagt, daß
es vielleicht „mit griech.
alasthai ‘umherirren’ und alýein
‘außer sich sein, umherirren’ ( Halluzination, halluzinieren) unter einer idg. Wurzel *al
(erweitert: *aleu-, *alu)
‘planlos umherirren’ zu vereinigen ist“ - Der Duden, Bd.7: Das Herkunftswörterbuch, 2., völlig neu bearb.
u. erw. Aufl., Mannheim u.a. 1989, p32. Das Umherirren hat sich allerdings
vollständig aus den Räumen entfernt und findet nun in der Zeit des Schauens von
vorgestellten Bildern der Vorstellung statt. Siehe weiterführend: Rudolf Heinz,
Somnium novum. Zur Kritik
der psychoanalytischen Traumtheorie. Vol.I und II
(II: Hg. zusammen mit K.Th. Petersen), Wien 1994;
Rudolf Heinz, Christoph Weismüller: Nachtgänge.
Zur Philosophie des Somnambulismus, Wien 1996; aus einem anderen Kontext
kommend siehe auch Gernot Böhme, Dämmerung,
in: Frithjof Hager (Hg.) KörperDenken. Aufgaben der Historischen Anthropologie,
Berlin 1996, p36-44.
[33] Jean Baudrillard, Das perfekte Verbrechen, dt., München
1996, p24.
[34] Derselbe, Nächtliche Körper-Raum-Kreationen. Anmerkungen zum Somnamulismus,
in: Rudolf Heinz und ders., a.a.O., p15-67, hier:
p23.
[35] Derselbe, a.a.O., p28.
[36] Die einzige, mir bekannte fortgeschrittene
theoretische „Positivierung“ des nur noch erwähnten
Körpers qua Ausweis einer kritisch manieristisch reel
konsolidierenden Psychokinesis findet sich in den bis
jetzt noch weitgehend unveröffentlichten Arbeiten Hans Peter Webers (etwa: Einfach. Anders. III – Kammer(n)Spiele um 2000. UKW; Manuskript, Berlin
1998).
[37] Und dies dann auch noch flächendeckend in
Bildern, die per se nicht sich selbst beinhalten können, also eigentlich
prädestiniert wären für die Aufrechterhaltung der
Differenz von Zeichen, Bezeichnetem und Bezeichnendem.
[38] Solvej Balle, Nach dem Gesetz. Vier Berichte über den
Menschen, dt., Berlin 1996, p97. — Konterkarierend dazu ist in der
Frankfurter Rundschau vom 20.02.98 auf Seite 1 zu lesen, die Autoren des
neusten Berichts des ‘Clube of Rome’,
Orio Giarini und Patrick M.Liedtke, „gehen von der These aus, daß die menschliche
Arbeit unentbehrlich für das Selbstwertgefühl ist: ‘Wir sind, was wir
produzieren.’“ Die Frage ist also, ob das Niemand-Sein in Bildern nur ein
Segment der Unterhaltungs- resp. der Freizeitindustrie ist, oder die Arbeitsgesellschaft
eindeutig, wenngleich zögerlich, aufhört, maßgebend die gesellschaftliche
Ordnung zu halten.
[39] Augustinus, a.a.O., p254.
[40] Diese Funktion der Bilder hat Hans Magnus
Enzensberger am klarsten und mit der Figur des Fernsehers als buddhistische
Maschine auch noch optimistisch beschrieben; Das Nullmedium oder Warum alle Klagen über das Fernsehen gegenstandslos
sind, in: ders., Mittelmaß und Wahn.
Gesammelte Zerstreuungen, FFM 1988, p89-103.
[41] Augustinus, a.a.O., p256.
[42] „Und siehe, mein eigenes Gedächnis
kann ich nicht begreifen und bin doch selbst von ihm umfasst“ (p265) — das
würde eher dafür sprechen, daß das Gedächnis durch
sich selbst vergegenwärtigt wird: eine Aussage, die durchaus mit der Theorie
der Beobachtung und des blinden Flecks in Verbindung steht.
[43] Abschließend heisst
es folgendermaßen: „Nun betrat ich die Wohnstätte meiner Seele selbst, wo sie
in meinem Gedächnis haust, da sie ja ihrer selbst
eingedenk ist, und auch da warst du nicht. Denn wie du kein Bild eines räumlichen
Dings bist, auch nicht Gemütsbewegung eines Lebewesens [...], so bist du auch nicht
selbst Seele. Denn du bist der Seele Herr und Gott. All dies muß sich wandeln,
du aber thronst unwandelbar über allem und hast doch mein Gedächnis
gewürdigt, darin zu wohnen, seit ich dich kennen
gelernt. [...] Wo also fand ich dich, daß ich dich kennen lernte? Wo anders als
in dir, über mir? Nirgends ist da ein Ort, daß wir uns
entfernen oder hinzutreten könnten, nirgends ein Ort“ (p274f.).
[44] Etwa folgende: Sorge und Vorsorge für Nahrung,
Wärme, Obdach, Sicherheit, menschliche Anziehung, Anerkennung und Nachkommen.
[45] Das Hegelsche masterpiece einer Identität von
Differenz und Identität bleibt, aber darüber kann man streiten, auch beim
Luhmannschen einer Differenz von Identität und Differenz weiterhin Bezugsgröße,
will sagen: der „Hegelsche Geist“ ist auch bei Luhmann noch der Horizont.
Allerdings ragt Luhmann mit einem Fuß schon heraus und hinein ins Jenseits von
Differenz und Identität, wenn er seine gesamte System-Architektur emergieren läßt aus der differenzlosen Einheit, die er in
den Sinnbegriff einbetoniert hat.
[46] Der sich an Piaget orientierende
erkenntnistheoretische Konstruktivismus würde hier widersprechen, da er auf basaler kognitiver Ebene davon ausgeht, daß sich die
ontogenetisch entwickelnde Fähigkeit zur Gestaltbildung, zur Akkommodation und
Assimilation, zur Objektkonstanz und Objekteinheit nicht nur
bewußtseinssystemisch ergibt, sondern auch durch Wiederholungen der „Realität“
selbst: gäbe es nur immer Verschiedenes, dann, so die These, gäbe es auch keine
Vereinheitlichungskraft, die von der strukturellen Zeitdifferenz der
Realitätsdinge absieht, um über andere Dimensionen verschiedene Realitäten
zusammenzubinden.
[47] Vielleicht muß man hier auf die basalen Unterscheidungen Figur/Hinter-grund
bzw. Text/Kontext oder auch System/Lebenswelt kommen und feststellen, daß deren
implizite Behauptung eines Kontinuums der Differenz und damit Emergenz von Beziehungen und Verhältnissen immer weniger
überzeugt.
[48] Jean Baudrillard, a.a.O., p216.
[49] Die Genforschung arbeit
genau daran, das Lebendige schlechthin als eine spezifische Organisation von
Materie zu entschlüsseln; es käme dann nicht mehr auf die besondere
Materialisation an, sondern nur auf die spezifische Organisation. Man könnte
auch sagen: es geht um die Transformation des Wachstumsmodus in einen Produktionsgenerierungmodus.
[50] Ders., Das cartesianische Paradigma und seine
Folgelasten, in: Sybille Krämer (Hg.), Bewußtsein.
Philosophische Beiträge, FFM 1996, p105-129, hier: p109.
[51] Alfred Sohn-Rethel, Soziologische Theorie der Erkenntnis,
FFM 1985 (geschrieben 1936), p122.
[52] Milan Zeleny befasst
sich mit diesem Unterschied im Focus auf das Phänomen Leben (als vielleicht
eingeschränktere Kategorie denn die des Körpers) und stellt fest, daß "the phenomenon of life pertains to the spezific organization of matter,
not to a particular (e.g.,
'organic') matter that is so organized." Ders., Ecosocieties:
Societal aspects of biological self-production, in: Soziale Systeme,
2/1995, p179-202, hier: aus dem abstract
p385.
[53] Neben diesen genuin gesellschaftlichen Flächen
gehören noch die Bio- und die Gentechnik dazu, die den Großangriff auf die
Gesellschaft mit einem Großangriff aufs menschliche Individuum und dessen
Restmomente an noch willkürlicher Sexualität, Reproduktion und Mortalität
komplettieren. Die Erfolge beginnen sich zu häufen: Am 23.02.1997 wurde zum
ersten Mal ein ausgewachsenes Lebewesen (Schaf 'Dolly') erbidentisch geklont,
das keinen Vater, dafür drei Mütter (eine genetische, eine Erbmutter und eine
Leihmutter) benötigte: und natürlich einen Troß von Forschern; am 01.04.1997
machte die Nachricht vom in den USA künstlich hergestellten Chromosom aus dem
Reagenzglas die Runde (Der Spiegel, 15/1997, p209); Anfang Juni 1997 erfuhr
man von einer ersten Übertragung eines kompletten menschlichen Chromosoms auf
Mäuse, von japanischen Gentechnikern durchgeführt (Der Spiegel, 24/1997,
p214f.).
[54] Politisch gewendet könnte man auch sagen: Der
Weltkapitalismus führt in den historischen Zentren seiner Genese eine Art
hochintegrierten Hermetismus des Geld-Ware-Geld
-Daseins ein, in welchem, anders als in den postkatastrophalen übrigen
Gesellschaften dieser Welt, nichts und zugleich mehr zu verlieren ist als die
Kontrolle über den eigenen Körper. Siehe Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, FFM 1993, p585.
[55] Seit Beginn der Indienstnahme menschlichen
Verstandes für 'Tätigkeiten', die nicht unmittelbar im unmittelbaren Bewältigen
des hier und jetzt brisanten Überlebens aufgehen, war der über Wissen organisierte
Realitätskontakt immer auf der Suche nach mehr Negentropie,
nach Ordnung, nach Regelmässigem, also auf der Suche
nach einer von der Erdrealität nicht mehr störbaren Weltrealität. - Mit der
Transplantation des basalen Erdrealitätelements
"natürliches Wachstum lebender Materie" in die Weltrealität kommt
die Emanzipation des Menschen von/durch Natur zumindest theoretisch in eine
neue Dimension von Selbstbeschreibung, der grundlegende Parameter fehlen.
[56] So sehr überzeugend Marianne Gronemeyer, Das Leben
als letzte Gelegenheit. Sicherheitsbedürfnisse und Zeitknappheit, 2., unveränd. Aufl., Darmstadt 1996.
[57] Was hier nur epigrammatisch erwähnt wird, ist
Thema unendlich vieler und eindringlicher Studien. Stellvertretend für viele
siehe: Hans Blumenberg, Lebenszeit und
Weltzeit, FFM 1986; Günter Dux, Die Zeit in der Geschichte. Ihre
Entwicklungslogik vom Mythos zur Weltzeit, FFM 1989; Wolfgang Kaempfer, Die Zeit
und die Uhren (Mit einem Beitrag von Dietmar Kamper),
FFM/Leibzig 1991.
[58] Wobei die Uhrzeit (die erste Uhr mit
mechanischer Hemmung um 1300) noch lange in Konkurrenz stand mit der Heilszeit
und die abstrakte Zeit sui generis
noch lange eine Behauptung blieb.
[59] Aber was wären dann Nichtblindheit und
Nichttaubheit bzw. die Positivierungen davon?
[60] So vertritt Franz Wegener die These, daß der
Mensch grundsätzlich in Bildern denkt, weil es einen genetisch tradierten,
mentalen Bilderspeicher gibt, der für alle über das visuelle System
einkommenden Bilder als Filter dient. Bei Deckungsgleichheit von visueller
Vorlage und genetischem Muster kann ein Verhaltensprogramm ausgelöst werden, so
Wegener (Ders., Visuelle
Grammatik und Genetische Bildfilter,
Internet-Edition, Gladbeck 1997: http: // www. castroprauxel. netsurf. de/ homepages/ franz. wegener/ ps2. html).