Glossar einiger Begriffe
der
neueren Medientheorie
zusammen mit Dietmar Kamper (†)
Bemerkung:
Es geht im Folgenden nicht so sehr um das Definieren, Beschreibungen und
Erklärungen bestimmter, medientheoretisch relevanter Begriffe im Geleise der
technischen Informatik, der kybernetischen Kommunikationstheorie oder der
mittlerweile vorhandenen Selbstbeschreibungsvokabularien einer virtual
reality-Diskursgemeinschaft. Die Begriffe werden vielmehr zu fassen gesucht aus
einer Soziologie der gesellschaftlichen Veränderungen heraus, wobei die Veränderungen
an der vorderen „Front“ der Medien betrachtet werden als avancierte Gestalten
einer Restrukturierung der Entkörperlichungs- und Entmaterialisierungsprozesse
auf gehobener Stufenleiter. Der Horizont der Formulierungen ist einer der
schwindenden, aufgelösten Körperlichkeit. Insofern muß die Aktualität von Jahr
zu Jahr überholt werden.
Autismus: Ein maßgebend von Eugen Bleuler 1911 in
den psychiatrischen Diskurs eingespeister Begriff, der die Selbstschließung erkrankter
Menschen vor der Realität und die daraus resultierende Selbstbezogenheit dieser
Menschen bezeichnen soll; zusätzliche Syndromkennzeichnung 1943 durch Leo
Kanner: Extreme Form des Alleinseins und ängstlich zwanghaftes Bestehen auf
Erhaltung der Gleichartigkeit der Umwelt. In anderer Terminologie bezeichnet
Autismus die nicht-enttautologisierte Selbstreferenz eines Bewußtseins (Peter
Fuchs). – Heute scheint es plausibel, autistische Syndrome nicht mehr als psychische
Störung eines Bewußtseins, sondern als Effekt funktionierender Kommunikation
anzusehen; die Bedrohung, die Kommunikation für Autisten darstellt, ist ein
allgemeines Merkmal des Verhältnisses von Komunikation und Bewußtsein, welches
mit der Explosion der Kommunikationsdichte, -frequenz und - angebote mitexplodiert.
Der Autismus ist auf die Kommunikation übergegangen.
Bild: Was ein Bild ist, bleibt weiterhin
ungeklärt. Ob man danach fragt, wie Bilder eine ähnliche Repräsentation eines
Orginals liefern, wie sie als zweidimensionale, perspektivische Darstellung
einer dreidimensionalen Szene funktionieren, ob Bilder strukturell hologrammatisch
sind, ob sie nur als mentale bestehen, ob sie epiphänomenal sind, ob sie
überhaupt als Informations-Speicher speicherbar sind (Piktoralismus) oder erst
durch Texte rekonstruiert werden (Deskriptionalismus), ob es genetisch
tradierte Bildspeicher und eine visuelle Grammatik gibt (Franz Wegener) oder ob
Bilder, egal welcher Materialität, welcher Technik und welcher soziologischen
Produktionzeit, nichts sehen, wiedererkennen und darstellen lassen denn
Wiederholungen (Schöpfungslosigkeit des Bildes): all das bleibt ungeklärt. Fest
scheint zu stehen: Daß Bilder die kongeniale Entsprechung einer grundlegenden
Blind- und Taubheit des hochgerüsteten zivilisierten Menschen sind; die
transparente und dadurch effektiv Intransparenz verunsichtbarende Form des
nicht mitteilenden Teilens von Welt (was zweifellos neue Formen der
Telesozialität nicht ausschließt). Bilder in einem sozialen und ästhetischen
Sinne setzen sich längerfristig immer an die Stelle des Darzustellenden und zerstören
längerfristig immer die für ihre Rezeption notwendige Erinnerungs- und
Einbildungskraft.
Code: Die spezielle Bezeichnung einer
speziellen Zuordnung von verschiedenen Kombinationen und verschiedenen
Bedeutungen; die Zuordnung muß eindeutig und reversibel sein. Beispiel
Computer: Das Material der Datenverarbeitung eines Computers sind einfache
Darstellungselemente, die zu Milliarden in der Hardware gespeichert sind. Da
mit elektrischen Impulsen „gearbeitet“ wird, gibt es nur die Zustände Strom und
kein Strom. Entsprechend ist auch die Darstellung der Zeichen mit Elementen
realisiert, die mit nur zwei Ausdrucksmöglichkeiten auskommen (binäre
Elemente). Sollen nun mehr als zwei unterschiedliche Bedeutungen ausgedrückt
werden, so kann das durch Kombination mehrerer Binärelemente geschehen. Die
Zuordnung von Kombination und Bedeutung gewährleistet der Code. Oder Beispiel
Sprache: Neben den Merkmalen Artifizialität, Kondensiert- und Konfirmiertheit
und symbolmäßige Verwendung von Sprachzeichen ist es die binäre Codierung der
Sprache in Ja/Nein-Stellungnahmen, die, so Luhmann, die Muse der Gesellschaft
sei. Denn ohne ihre Doppelung aller Zeichen, die Identiäten fixieren, hätte die
Evolution keine Gesellschaft bilden können. Codes haben, egal ob biologisch,
psychisch oder sozial „gebettet“, durchgehend ein Merkmal gemein: Sie beziehen
sich immer auf Relationen resp. Relationierungen von Relationen von Elementen,
nie auf die Elemente selbst. Die Frage ist, inwieweit Codes raffinierte Kristallisationen
der Geschichte und Entwicklung der durch sie angewiesenen Elementekombinationen
sind, oder eher transgeschichtlich anzusetzen sind. – Die Entwicklung innerhalb
der Medienkommunikation, nämlich Kommunikationsobjekte zu multicodieren
(Jencks), korreliert negativ mit der zunehmend sichtbarer werdenden Härte gesellschaftlicher
Codes. Zur Zeit herrscht das wissenschaftliche Phantasma, man könne zumindest
den biologischen Code so auf sich anwenden, wie der Computer auf andere Maschinen angewendet werden kann
(Computer als Simulation aller anderen Maschinen; ein Meta-Code als Codierungmaschine
aller anderen Codes).
Cyberspace: Kunstwortschöpfung
aus dem Roman Newromancer des
us-amerikanischen SF-Autors William Gibson. Bezeichnet ein virtuelle
Landschaft, die nur in den vernetzten Computern der Welt existiert. Gilt
inzwischen auch als Synonym fürs Internet. Im Cyberspace wird jede tatsächliche
Bewegung des Beobachters (Figur), der über Interfaces an die Prozeduren des
Bildauf- und Umbaus verbunden ist, in realtime
hintergrundperspektivisch umgesetzt. Die Zentralperspektive emanzipiert sich
vom Beobachter und geht zum Teil aufs das Beobachtete (Berechnete) über.
Cyberspace ist auch zu fassen als Visualisierung einer grundlegenden
Virtualität menschlicher Sozialität; ihre Simulation einer künstlichen,
visualisierten Umwelt kommt zum Ziel genau dann, wenn die menschliche Wahrnehmung
die simulierte/ virtuelle Welt als reale Wahrnehmung realisiert. Gelungener
Cyberspace ist die endgültige Aufgabe des Raumes als Ereignis real werden
lassende Dimension und die abstraktifizierte Sublimation des (abendländischen)
Berührungsverbots durch das nun mögliche Eindringen in die Bilder selbst.
Dissimulation: Bedeutet
Verstellung, Verstellungskunst, die Verheimlichung, die Verstellung, die Verbergung;
von lat. Dissimulatio: das Unähnlich- oder Unkenntlichmachen, die Verkleidung,
die Maskierung, der Schein, die Entähnlichung. Der Begriff komplettiert mit dem
der Simulation (Vorspiegelung, Vorschiebung, Vorwand, Ähnlichmachung) den
theoretischen „Attraktor“ namens Indifferenz als Eigenwert moderner
Gesellschaften (und nicht Kontingenz, wie Luhmann meint). Nach Bernhard Giesen
ist die postmoderne Medienkultur beherrscht vom Zwang zur Dissimulation, d.h.
Differenzen und Unterscheidungen zu setzen und zu inszenieren, wo es keine
Unterschiede und Differenzen mehr gibt. Ist Ununterscheidbarkeit der Höhepunkt
moderner Simulation, so die allgegenwärtige Unterscheidbarkeit der der
Dissimulation (Differenzphilosophie); Dissimulation als panische Vorhölle der
immer stärker durchschlagenden Indifferenz rigider Codes gegenüber ihrer
„Bespannung“ mit unterschiedlichen Programmen. Innerhalb eines Bildordnungsmodells
von Baudrillard könnte Dissimulation die letzte Ordnung vor dem Zusammenbruch
der Ordnung als solche stehen: 1. Das Bild als Reflex tieferliegender Realität
(Ordnung des Sakraments), 2. Das Bild als Maske und Denaturierung
tieferliegender Realität (Ordnung des Verfluchens), 3. Das Bild als Maske der
Abwesenheit tieferliegender Realität (Ordnung der Zauberei), 4. Das Bild als tieferliegende
Realität resp. die Realität als Maske des Bildes (Ordnung der Simulation), 5.
Das Realität ersetzende Bild als Differenz zur nicht mehr vorhandenen Realität
des Unterschieds von Realität und Bild (Ordnung der Dissimulation), 6. Zerfall
der Ordnungsformvorgaben Bild, Realität und Ordnung.
Erinnern, Wiederholen, Durcharbeiten:
Läßt man davon ab, Zeit linear und das Raumzeitkontinuum als weiterhin
kontinuierend zu denken, und geht dagegen von einem Bruch desselben aus, dann
lassen sich mindestens zwei Verfahren des Umgangs der Menschen mit Zeit ausmachen,
die nicht auf die Erinnerung zurückgeführt werden können, obwohl sie sie
vorausetzen: Wiederholen und Durcharbeiten. Um ein Ereignis, das geschah, sich
aneignen zu können, reicht es nicht mehr aus, sich daran zu erinnern. Mit der
Frühromantik in Europa brach das Kontinuum des griechisch bestimmten europäischen
Bewußtseins, das von Aletheia und Anamnesis lebte, zusammen. Es war Søren
Kierkegaard, der als erster von der ‚Wiederholung’ als der entscheidenden Kategorie
der Zeit in der Moderne sprach. Nicht mehr Kontemplation, die Ausgedehntes
erinnert, sondern ein rasantes antwortendes Leiden und Tun, das in dem Anspruch
des ‚Nocheinmal’ gipfelt, sollte einen Ausweg weisen. Das Ereignis muß wiederholt
werden, damit es wirklich wird. Doch schon Kierkegaard verfehlte die Kategorie.
Aus der wirklichen Wiederholung wurde ein seltsamer Wiederholungszwang auf die
Bildfläche. Die dramatische Vergegenwärtigung sich ereignender Urszenen, verstanden
als eine Praxis des Heiligen, ist damit in der Schrumpfform zwanghafter
Wiederholung auch als eine Katastrophe des Heiligen zu deuten. Wahrscheinlich
gehört die Inszenierung von Ereignissen zu einer Strategie der Rehabilitierung
des Dramas der Erinnerung. Hier setzt das Durcharbeiten an, das die scheiternde
Wiederholung dennoch retten soll. Es geht gegen die Schmerzlust und gegen den
Todestrieb, die in solchem Scheitern am Werk sind. Die falschen Vorzeichen
betreffen das persistierende Unvermögen der Gegenwart, das sich auch jetzt als
wachsende Leere der Zeit, als immer neuer „horror vacui“ manifestiert. Wo sich
keine Figuration mehr ergibt, wo aus Zeitmangel kein bestimmendes Bild mehr zustande
kommt, verfehlt die Wiederholung ihr Ziel mit Zwangsläufigkeit. Ein Hauptmotor
dieses Leerlaufs könnte das von jeder Phantasietätigkeit gereinigte Gedächnis
sein, das nur noch Schrift ist, pure Buchstäblichkeit. Ein anderer Hauptmotor
ist jene Phantasie, die keine Zeit mehr hat, Narbe zu werden, weil sie
unkörperlich, d.h. maschinisiert, wurde. Wo beide kurzgeschlossen werden, da entsteht
der Computer, von dem man erwartet, daß er zu einer rigorosen Zeitentlastung beiträgt.
– Folie und Vehikel des gestaffelten Abstraktionsprozesses ist eine Technolgie
der Körperextension, die nicht allein eine Prolongation der Gliedmaßen
betreibt, sondern auch eine Expropriation der inneren Organe, insbesondere des
Gehirns, nach außen. Es ist diese Externalisierung der menschlichen Symbolfunktion,
die in Allianz mit einer Inkorporation der Zeit in der Maschine Richtung und
Ziel der Fiktionalisierung der Welt im nachhinein lesbar macht. Dabei geht es
um den Wunschtraum einer technischen Überwindung körperlicher Gebrechen:
Schmerz, Krankheit, Tod, und zwar einerseits durch Abschirmung der Individuen,
andererseits durch Medien, die einem Automatismus der unaufhaltsamen Entwicklung
überantwortet werden. An dieser Stelle wird deutlich, wie sehr technologie noch
immer Theologie ist.
Fiktion: Erfindung, Ausgedachtes, focus
imaginarius, der sich reflexiv selbst markiert als nichtreal wenngleich
wirkwirklich. Baudrillard (aus: Amerika, München 1987, p136, auf den
Unterschied zwischen us- amerikanischer und europäischer Kultur zu sprechen
kommend): „Die Fiktion ist nicht das Imaginäre. Sie nimmt das Imaginäre vorweg,
indem sie es realisiert. Sie ist unserer Bewegung genau entgegengesetzt, die
darin besteht, die Realität in der Imagination vorwegzunehmen oder in der
Idealisierung vor ihr zu flüchten. Deshalb werden wir [Europäer; B.T.] uns nie
in der wirklichen Fiktion bewegen. Wir sind dem Imaginären und der Sehnsucht
nach der Zukunft verfallen. Der amerikanische Lebenstil ist spontan fiktional,
weil er die Übersteigerung des Imaginären in der Realität ist.“ Die Gleichsetzung
eines Wirklichen mit einem Unwirklichen ist das Wesen der Fiktion. Je weniger
Fiktion als Fiktion eingesetzt wird, desto schwieriger wird die Unterscheidung
von fiktionaler und nichtfiktionaler Realität; je perfekter die bildliche
Umsetzung fiktionaler Realität passiert und die nichtfiktionale Realität verstärkt
über technisch vermittelte Bilder/ Texte/ Töne wahrgenommen wird, desto zwingender
wird Wissen für die Aufrechterhaltung des Unterschieds von Fiktion und Realität.
Futur, das perfekte: Es ist sehr früh
bemerkt worden, daß die Vergangenheit über die Gegenwart dominiert immer dann,
wenn das Tote an ihr überwiegt. Wo der Zeitbezug neurotisch, wo der Wiederholungszwang
zum alleinigen Muster der Realitätsbewältigung wird, hat die Menschheit ihre
Zukunft schon hinter sich. Die Wiederholung in der Mannigfaltigkeit ihrer
Formen wird zur Geisterbeschwörung, strenggenommen sogar zu einem Totenkult in
der härtesten Bedeutung des Wortes, mit dem Effekt der Auslöschung jeglicher
Differenz von Innen und Außen. In dieser größten Not greifen die Menschen zu
einer verrückten Notlösung: Sie setzen auf Entlastung durch die Maschine. Sie
selbst halten die erforderliche Geschwindigkeit der Zeitrotation nicht mehr
aus; sie nehmen Zuflucht bei einem Mittel, das die Ausgangsprobleme wahrscheinlich
noch einmal intensiviert. Die neue Medientechnologie der beschleunigten Bewegungen
stellt den verzweifelten Versuch dar, dem Wiederholungszwang zuvorzukommen, und
zwar durch ein techno-mimetisches Konzept. Der Computer, als Rechenmaschine
eine Zeitmaschine, ermöglicht genau solche Bewegungsabläufe, wie eine Zwangsneurose
sie vorschreibt: Rückkoppeln der Resultate in den laufenden Prozeß; Bewegung
nicht im geschlossenen Kreisverkehr, sondern im 'offenen' Umlauf, aber zum
Zwecke des Schlusses; Herstellung eines selbstreferentiellen Systems unter
Einsatz der Selbstreferenz als Verhängnis; Automatisierung der Abläufe um jeden
Preis, auch um den des Autismus des Betreibers. – Zum ersten Mal in ihrer langen
Geschichte hat die Menschheit die Möglichkeit, sich selbst von den Wurzeln,
Herkünften und Ursprüngen ihres Lebens radikal abzuschneiden und damit ein
Reich jenseits von Notwendigkeit und Freiheit zu gründen, in dem der Tod
unbeschränkter Meister ist. Wahrscheinlich wird diese Möglichkeit genutzt, wohl
in Gestalt einer panischen Problemlösung. Um etwas vermeintlich Schlimmeres zu
vermeiden, wird die Grenze überschritten, die noch das Identifizieren des
Unmenschlichen zuließ. Was in der Bilderflut sich bereits angekündigt hat, die
mit Leere verdeckte Leere, könnte sich zu einer haltlosen Immanenz des Imaginären
aufblähen, von der schließlich kein Zeugnis mehr abgelegt werden kann. Das öffnet einer völlig neuen Art des
Nicht-Seins Tür und Tor im ‚Haus des Seins’. Wurde der Tod bisher nur im ersten
Futur erwartet, so rückt er jetzt ins zweite Futur vor. Hatte sich die
vergangene Geschichte zur Not noch in die Kondition pressen lassen, daß sie
gewesen sein wird, so entfällt sogar dieser Trost. Auch gewesen sein wird sie
nicht, weil für menschen von nun an kein Gedächnis und keine Phantasie mehr
hinreichen, um die passierende Selbstvernichtung in irgendeiner adäquaten Erzählung
zu fassen. Das Drama der Erinnerung hat an diesem Nichtsein im zweiten Futur
sein black out, sein endgültiges Scherbengericht. Und doch: Die metonymische Verschiebung,
die in der Technologie der Zeitmaschinen anfängt, läßt einen Ausweg offen.
Könnte es nicht sein, daß ein imaginärer Tod die Herrschaft des Blicks beendet
und damit die Macht des Wahns, man könne gegen das Leben auf der Erde einen
Krieg gewinnen? Könnte es nicht sein, daß im Äußersten des toten Raumes die Umkehrformel
gefunden werden kann, die der fast gestorbenen Zeit dann doch ihre Schrecken
nimmt? Könnte es nicht sein, daß der veräußerte Wiederholungszwang und die deponierte
Zwangsneurose den Menschen die Zeit lassen, endlich durchzuarbeiten?
Illusion: (lat. in ludo = im Spiel) Bedeutet
oberflächlich Täuschung, vor allem Selbsttäuschung; im tieferen Wortsinn jedoch
„aufs Spiel setzen“. Wer sein Leben aufs Spiel setzt, mag sich auch selbst betrügen;
der Zusammenhang ist unvermeidlich, aber es geht um eine andere Lebensart, die
sich vom common sense der lebenslänglichen Versicherung fernhält. – a) Illusion
kann verstanden werden als Grundlage der Praxis des Unterscheidens. Das Wort selbst hatte eine Karriere, die
verdächtig einseitig einer marginalen Bedeutung den ersten Rang gibt: der Täuschung,
der Selbsttäuschung. Damit ist es jedoch in die Abhängigkeit von einem
Wahrheitsdiskurs geraten, unter Ausschaltung seines tieferen Sinns, der
jenseits von Wahrheit und Wahrhaftigkeit liegt. Illusion als Tun und Leiden derer,
die aufs Spiel gesetzt werden, entstammt dem Wortfeld der Gefahr und gründet
sich auf das Risiko als anthropolgische Kategorie. Wegen der fehlenden
menschlichen Natur bedurfte es seit jeher der Zusatzanstrengungen, um den
„Fehl“ zu kompensieren. Aber die Institutionen, diese kulturellen Substitute
der Natur, sind von zwei Seiten bedroht, der Ordnung und der Unordnung. Die
Illusion der Gefahr ist dann notwendig, wenn die doppelte Bedrohung überhand
nimmt. Dann sind Spiele zur Erfindung neuer Regeln erforderlich, die auf
möglichst viel Risiko eingehen und das Nichtkalkulierbare zulassen können.
Damit betritt man allerdings eine andere Welt, nämlich die der Zauberei, mit
ihren Künsten, die das Erscheinen und das Verschwinden betreffen. Diese Welt
ist fundamental, nicht exzentrisch. Aber sie gleicht der natura naturans, nicht
der natura naturata. Eine magische Matrix kommt ins Spiel, die nach dem Muster
notwendiger Fiktionen arbeitet, als schöpferische Erfindung dort, wo nichts
mehr zu finden ist. Während die Illusion in der Welt der abstrakten, automatischen
Verhältnisse nur noch als Simulation zu haben ist, heißt sie in der Welt der
Körper Mimesis. Darüber, was das eine, was das andere ist, weiß man auch heute
noch sehr wenig; noch weniger darüber, wie Mimesis Simulation fundiert und wie
Simulation Mimesis substituiert. Man müßte die Ablösung der Körper, ihre
Entzauberung durch die Maschinen, genetisch und strukturell präziser beschreiben
können, um hier weiterzukommen. Sie scheinen die letzte Gewahrwerdung eines
Unterschieds zu garantieren, der sich aufzulösen beginnt und gefasst werden
kann wie folgt: Ab einem bestimmten Punkt macht es keinen Unterschied mehr, ob
man sich daran gewöhnt, so zu tun, als ob man glaube, oder ob man sich darn
gewöhnt, wirklich zu glauben: Der Schied zwischen beiden Modi erweist sich nur
noch in einer Gestalt, die die Illusion als Illusion zu zeigen vermag; und das
vermag, wie es aussieht, der menschliche Körper des körperliche Menschen. Bewußte Selbsttäuschung: Wer das Leben
des im Zivilisationsprozeß erstarrten Menschen als große Illusion, die eine
Melancholie der leeren Zeit überwindet, zu lesen versteht, muß das Muster der
strikten Ambivalenz zur Anwendung bringen. Es gibt derzeit kein hinlängliches
Kriterium, das Positive und Negative der Kultur gegeneinander abzugrenzen. Die
Mimesis als Vermögen der Einbildungskraft fließt ineins mit der Simulation als
dem Vermögen der täuschend-ähnlichen Reproduktion. Das liegt am Kurzschluß von
Archaik und Technik, der sich von seiten des Körpers mit der Zeitbemächtigung
einer großangelegten Chronokratie eingestellt hat. Aus diesem Kurzschluß eine
Strategie zu destillieren hieße, gewollte Selbsttäuschung zu praktizieren. Man
täuscht (nicht sich selbst, sondern) das importierte Selbst, um den Bann der
leeren Zeit zu brechen. Das geht wahrscheinlich auch mit Maschinen. Wichtig ist
nur, das die Spur der Illusion nicht verlassen wird, welche die notwendigen
Fiktionen der Bühne und die Gesetzmässigkeiten des grundlegenden Szenarios im
Theater der Welt als Möglichkeiten des Lebens zu wahren erlaubt. Die große
Illusion wäre also groß, wenn der Wortsinn streng zweideutig gehalten werden
könnte. Sie beschreibt den imaginären Ort, an dem der Mensch der Gegenwart sich
aufs Spiel gesetzt und in ein unaufhebbares Risiko verwickelt weiß. Sie ist
weder eine Angelegenheit der Realität noch eine der Symbolik, weder Materie
noch Immaterie, weder körperlich noch sprachlich, sondern ein Bildschirm, der
nichts zeigt, der aber als Drehscheibe für das Begehren den Kreis von der
archaischen Mimesis zur postmodernen Simulation zu schlagen erlaubt. – b) Eine
Illusion findet statt, wenn etwas anderes erscheint, als es ist. Die Illusion
unterscheidet sich von der Halluzination, die überhaupt keinen Bezugsgegenstand
hat. Findet die Illusion in der Wahrnehmung statt, so spricht man von einer
Sinnestäuschung. Kennzeichnend für eine Illusion ist es, daß man sie durch die
Tatsache, daß man sie als solche erkennt, nicht beheben kann. Die Möglichkeit
der Illusion wird in der Erkenntnistheorie benutzt, um die Unterscheidung
zwischen Erscheinung und Realität zu begründen. Darauf stützt sich das Argument,
wonach uns nicht die Sachen selbst, sondern nur Erscheinungen gegeben sind. Das
Argument der Illusion spielt bei der Begründung des Skeptizismus eine große
Rolle. Menschliches Erkennen ist ein biologisches Phänomen, das nicht durch die
Objekte der Aussenwelt, sondern durch die Struktur des Organismus determiniert
ist. Menschen haben ein operational und funktional geschlossenes Nervensystem,
das nicht zwischen internen und externen Stimuli differenziert und daher sind
Wahrnehmung und Illusion, d. h. innerer und äusserer Reiz, im Prinzip für den
Menschen nicht unterscheidbar. Menschliche Erkenntnis resultiert aus
individuellen Erfahrungen und ist als Leistung des Organismus grundsätzlich
subjektgebunden und damit unübertragbar. Der Gehalt kommunizierter Erkenntnisse
richtet sich nach der biologischen Struktur des Adressaten, aber Adressat und
Kommunizierender sind keine biologischen Phänomene, sondern soziologische.
Diese irreduzible Verschiedenheit verankert die Wirklichkeit des Illusionären
in den „Weltkontakt“ des sprechenden und arbeitenden, sich verhaltenden Menschen.
Imagination: (lat. imaginatio für
gr. phantasia) Auf deutsch Einbildungskraft; ein von der Vernunft und dem
Verstand unterschiedenes Erkenntnisvermögen, fähig der Bilder und der Schemata
von grundlegender Bedeutung. Imagination hat hauptsächlich drei Aufgaben: Sie
fungiert als transzendentaler Unterstrom des Bewußtseins, zweitens als Vermögen
der Vorstellung auch abwesender Dinge, und drittens als mit Angst
einhergehendes Verhältnis der Menschen zu ihrem Körper. – Dennoch: Imagination
ist ein nur sehr schwer von der Vorstellung, der Phantasie, der Antizipation
und der Einbildungskraft abzugrenzender Begriff; im Thesaurus synonym gesetzt
mit Einbildung, Einbildungskraft, Fiktion, Utopie, Phantasie und Unwirklichkeit.
Vor allen anderen Differenzierungen scheint die zwischen visualisierter und
nicht nichtvisualisierter Imagination einen triftigen Unterschied in der Bestimmung
auszumachen: Läßt die nur imaginierte Imagination noch die Erfahrung eines
Bruchs zwischen der Ereignishaftigkeit von Erfahrung und der Erfahrung von
Imagination zu, wobei gar eine Ordonanz sich einstellt (Letzttableau der
Realität bleibt die ausgebildete Wirklichkeit, zu der hin die eingebildete
Wirklichkeit sich vermittelt), so kehrt sich in der visualisierten Imagination
das Verhältnis mindestens um (wenn sich nicht das Verhältnis als solches
zerstört und reines Selbstverhältnis wird): ein Bruch ist auch weiterhin
erfahrbar zwischen Erfahrung und Einbildung, nun allerdings als unspezifischere
Diskrepanz zwischen der Erfahrunglosigkeit des Im-Bilde-Seins (bei
gleichzeitiger hoher Ereignishaftigkeit) und der Erfahrung der Ereignislosigkeit
des Nicht-im-Bilde-Seins (bei gleichzeitiger hoher Erfahrung von Schmerz, Ungenügen
und Nervosität). Die Nicht-Bild-Erfahrung wird zum in Kauf zu nehmenden Appendix
einer noch nicht totalen Bildimmanenz. In der Perfektion der Bilder, verglichen
mit der weiterhin weitgehend drei- und vierdimensionalen Wirklichkeit, kommt
die von Anders aufgestellte These des prometheischen Gefälles in Reinform zum
Ausdruck.
Indifferenz: Gilt oft als
Nebenprodukt funktionaler Vergesellschaftung. „Fördernde Leistungen können
intensiviert werden“, so Luhmann mit Blick auf Funktionssysteme, „ohne daß
jedes Ereignis alle Teile anginge und alles mit allem abgestimmt werden müßte“
(Luhmann, Soziologische Aufklärung, Bd.1, Opladen 1970, p123). Damit
geht einher eine „erhebliche Beschleunigung systeminterner Anpassungsprozesse,
ein überlebenskritischer Zeitgewinn“ (ebenda). Es ist so von einer legitimen
Indifferenz der Teilsysteme gegeneinander die Rede. Störende Umwelteinwirkungen
können in Teilsystemen abgekapselt werden. Auch die Transformation von
Problemen aus der Außenwelt ins Innere der jeweiligen Systeme vereinfacht
Probleme und ermöglicht ihr sequentialisiertes Kleinarbeiten. Der Blick auf die
multizentrische Gesellschaft existiert nicht anders als standortgebunden, aus
der Perspektive eines jeweiligen Systems, ohne daß die verschiedenen Perspektiven
sich zu einer Totale zusammensetzen ließen. Vom Standpunkt der Theorie funktionaler
Differenzierung und aus dem sich mit ihr verbindenden Perspektivismus ergibt
sich eine Kritik an der Vorstellung einer Gesellschaftsgestaltung, insofern sie
die Repräsentation der Gesellschaft im Zentrum oder an der Spitze einer
Hierarchie voraussetzt. – Die Gleichgültigkeit der mit Codes ausgestatteten
Systeme gegenüber dem animale sociale bricht sich invers Bahn mittels
einer Gleichgültigkeit der Menschen gegenüber massenvermittelter Kommunikation,
die damit ihr ordnungspolitisches Ziel erfüllt.
Information: Der Begriff ist in
der gegenwärtigen wiss. Semantik der Selbstbeschreibungen von Gesellschaften
innerhalb der Triade Materie, Energie und eben Information der bevorzugte
(„Informationsgesellschaft“); dementsprechend verschiedenen sind die Beschreibungen
seiner Aspekte. Neben den Unterscheidungen in genetische, biologische,
elektrische usw. Information gilt die interne Dimensionierung des Begriff in
syntaktische, semantische und pragmatische Aspekte. Die syntaktische
Informationstheorie Shannons gilt trotz ihrer Eindimensionalität
(Nachrichtenübertragungstheorie) immer noch als passende Erklärung von
Information. Andere Auffassungen, die Semantik und Pragmatik berücksichtigen,
nehmen jedoch zu (Information ist ein Unterschied, der einen Unterschied macht;
Information ist nur das, was verstanden werden kann; „all objects conveying
information are irreducible to the terms of physics and chemistry“; M.
Polanyi). Hauptproblem der KI-Forschung zur Zeit ist die technische, vielleicht
gar logische Unmöglichkeit, Kontexte und explizit implizit sein müssendes
Wissen in Information zu überführen. Information selbst läßt sich nicht mehr
informieren. – Zur Zeit scheint Information sich als praktikable positive
Antwort auf den Ekel am Kommunikativen (Adorno) durchzusetzen, d.h. als Kontrollinstrument
für eine umspannende Beschränkung des semantischen Begreifens auf das Faß- und
Handhabbare, auf das zeitoptimierte know-how, auf die griffige Formel, auf das
von jeglichen transzendierendem Ballast befreite begriffslose Weiterreichen entkontextualisierter
Wissenspartikel. Der Begriff Information hat mittlerweile schon seine eigene Bewertungsunterscheidung
generiert: Overnewsed, but underinformed.
Komunikation: von lat. communicare
= vereinigen. Der Begriff Kommunikation wird in einer Vielzahl von Definitionen
verwendet, die sich z.T. mit anderen Begriffen wie Reaktion, Interaktion oder
Verhalten überschneiden oder mit diesen sogar gleichgesetzt werden. Um den Begriff
der interaktiven Kommunikation (Interaktion) als Teilbereich der Kommunikation
definieren zu können, erscheint es sinnvoll, von einer äußerst weit gefaßten
Definition auszugehen. So soll interpersonale Kommunikation zunächst
Beziehungen der Kommunizierenden benennen, bei denen über Sprache, Zeichen oder
Symbole Informationen ausgetauscht oder vermittelt werden, Kommunikation also
verstanden als habitualisierter oder reflektierter Austausch von Gesten,
Zeichen, Informationen und deren Interpretation. Kommunikation verläuft in der
gängigen Fassung prozeßhaft über mindestens drei Stationen: 1. Sender =
Verschlüsselung (Encodierung), 2. Nachricht = Übermittlung (Signalisierung), 3.
Empfänger = Entschlüsselung (Decodierung oder Interpretation). Entscheidend für
das Zustandekommen von Kommunikation ist die (zumindest teilweise) Identität
des für die Aussage benötigten Zeichenvorrats des Senders mit demjenigen des
Empfängers. Kommunikation ist nur durch Zeichengebrauch möglich und damit an
Zeichen gebunden. Sie ist gleichzeitig die auffälligste Form des Zeichengebrauchs.
Kommunikation hat drei Hauptfunktionen: a) Mitteilungsfunktion (Mitteilen von
Gedanken), b) Beziehungsfunktion (Regelung der Beziehungen zu anderen), c)
Handlungsfunktion (Koordination von Handlungen mit anderen). Kommunikation ist,
so scheint es zumindest, nicht dazu da, daß sich verschiedene Menschen besser
verstehen, Aufgaben besser koordinieren und Weltsachverhalte besser mitteilen
können. Kommunikation scheint generell Welt nicht mitzuteilen, sondern nur
einzuteilen; auch bezieht sich das Verstehen als drittes Glied des Begriffs
(Information und Mitteilung) nicht mehr auf eine den Kommunizierenden gemeinsam
zugrundeliegende Identität, sondern gilt immer mehr als nicht mehr einwandfrei
funktionierende Verunsichtbarung eines Mißverständnisses. Audiovisuelle Medien
koppeln weitgehend die Komponente des Verstehens von ihren Offerten ab und
habitualisieren damit eine bestimmte Form der Einstellung zum Kommunizieren,
die, je weniger sie zu teilen vermag, umso mehr mitteilt (das Verschwinden der
Information in die Mitteilung, die selbst kein Objekt des Teilens mehr
besitzt). Massenkommunikation oder
auch mediengebundene Kommunikation wurde bisher definiert als jene Form indirekter
zwischenmenschlicher Verständigung, die an ein prinzipiell unbegrenztes,
anonymes, heterogenes und räumlich-zeitlich verstreutes (disperses) Publikum
gerichtet ist, die überwiegend einseitig vom Kommunikator zum Rezipienten
(Leser, Hörer, Zuschauer, Nutzer) verläuft und wegen der hohen
ökonomisch-technischen Voraussetzungen bisher typischerweise in arbeitsteiligen
Großorganisationen (Rundfunkanstalten, Verlagen, Medienkonzernen usw.)
produziert wird. Inwieweit diese Definitionen nach der weiteren Verbreitung von
computergestützten Medien, einer möglicherweise daraus resultierenden Gleichstellung
von Kommunikator und Rezipient sowie abnehmenden technischen und finanziellen
Voraussetzungen einer Überarbeitung bedürfen, bleibt abzuwarten. Die Massenmedien
können also allgemein verstanden werden als technische und organisatorische
Infrastruktur der Massenkommunikation. Telekommunikation:
Ein Sammelbegriff für alle Formen von Kommunikation mit Hilfe nachrichtentechnischer
Übertragungsverfahren. Dabei kann es sich sowohl um Mensch-Maschine-Mensch-,
als auch um Mensch-Maschine- oder Maschine-Maschine-Kommunikation handeln. Nach
der benötigten Übertragungskapazität unterscheidet man zwischen schmalbandigen
(z.B. Fernsprechen, Fernschreiben, Bildschirmtext) und breitbandigen (z.B.
Datenübertragung, Fernsehkonferenz, Bildfernsprecher) Diensten sowie nach
einseitig gerichteter und zweiseitiger Kommunikation. Die wichtigsten Formen
sind: Sprach-, Text-, Bild- und Datenkommunikation. – „Die Komunikation führt
die soziale Form durch Banalisierung der Schnittstelle (Interface) zur Gleichgültigkeit
(Indifferenz). Daher gibt es in der Kommunikation keine Utopie. Die Utopie
einer Kommunikationsgesellschaft hat keinen Sinn, da sich die Kommunikation
gerade aus der Unfähigkeit einer Gesellschaft ergibt, über sich hinauszugehen
und anderen Zielen zuzustreben“ (Jean Baudrillard).
Körper: lat. corpus, im Sinne des toten Herrenleibs verstanden, später Leiche,
kann um keinen Preis als natürlich oder ursprünglich angenommen werden,
vielmehr muß er als lebendig-wirksames ‚Resultat’ der Evolution, der
Vorgeschichte und der Geschichte in Rechnung gestellt werden. Zivilisationstheoretisch
ist der menschliche Körper als ‚stummer Diener’ mächtig gewesen, als durchaus
nicht passiver Angriffspunkt für Unterdrückungen und Zurichtungen, welch letztere
zumeist in der Maskerade der Emanzipation daherkamen. Nach der einen Seite ist
der Körper sterblich, vergänglich und verwesend, nach der anderen Seite ist er
als Geschlecht bestimmt, im doppelten Sinne von gender und sex. Er ist
produktiv und reproduktiv, er zeugt und empfängt, er handelt und leidet, unter
der Prämisse, daß er selbst zugrunde gehen muß. Erst eine solche Prämisse hält
Anschluß an die Geschichte der menschlichen Souveränität; alles andere beschleunigt
lediglich die Diziplinargesellschaft, die im panoptischen Zustand das zerstört,
was sie zu beherrschen vorgibt. Am Körper kann eine spezifische Leidensgeschichte
nachgelesen werden, die eine Folie der Geschichte des europäischen Nihilismus
abgibt, also jener geistigen Grundrichtung, die beim kleingeschriebenen „nicht“
endet. – Tod und Sex gelten noch immer als die beiden fundamentalen Schwächen
des Körpers und sind mit Urängsten besetzt. Um beiden historisch Genüge zu tun,
gab es eine einzige zivilisatorische Strategie: Transformation des
(vergänglichen) Körpers ins (ewige) Bild. Diese auf Verdrängung und Vergessen
basierende Form des Selbstumgangs war früher wenigen Menschen vorbehalten, ist
seit einigen Jahrzehnten jedoch jedem prinzipiell zugänglich. Von daher hat
sich Entscheidendes gedreht: Die Differenz von körperlicher Realität und Abbild
entfällt. Es gibt nur noch Bilder vom Körper, und diese haben eine Tendenz in
die Ewigkeit. Bilder sind Denkmäler gewesenen Lebens. Mit einem Wort: Sie sind
tot. Erst in der Dimension des zerstückelten Körpers gäbe es Leben, mit dem man
etwas anfangen kann. Deshalb bleibt für eine historische Anthropologie des
Körpers die Kategorie des Schmerzes unabdingbar. Allerdings ist ein
irritierendes Ereignis zu verzeichnen: Während vor Jahren noch von einem partout
schweigenden Körper die Rede sein konnte, ist nun scheinbar die Zeit seiner
Wiederkehr da. Es mehren sich zumindest verschiedenartige Strategien, die den
Körper praktisch und theoretisch in Anspruch nehmen und auf seine „Sprache“,
auf sein „Bild“ reflektieren. Fest steht, das folgende Überzeugungen, nämlich: daß unser Wissen darüber, daß wir ein materieller
Körper sind, wie all unser Wissen, von der Existenz dieses materiellen Körpers
und seiner spezifischen Organisationsform abhängt; hingegen sind wir durchaus
nicht der Überzeugung, daß die Existenz dieses oder einen anderen materiellen
Körpers davon abhängt, daß wir wissen, daß sie existieren – daß diese
Überzeugungen also gegenwärtig ins Rutschen kommen. Könnte es sein, daß die
Verkörperung von Wissen, als die die sozio-kulturelle, also wissenschaftlich-technologische
Zvilisationierung vordringlich betracht werden kann, den materiellen Körpern,
die in dieser Zivilisationierung hausen, ihren Gewißheits- und
Überzeugungsbonus für Existenz entrissen haben? So daß, umgedreht oder
vielleicht auf einer höheren Emergenzstufe, die Existenz materieller Körper
abhängig zu werden beginnt von einer spezifischen Organisationsform des Wissens?
– Wie dem auch sei: Fällig ist mehr denn je eine nicht-reaktionäre Kritik der
Moderne, eine Umkehr nicht zu historischen Zuständen, sondern zu geschichtlichen
Kräften. In Anbetracht, wie unbekannt der Körper weiterhin ist, ist zu
vermuten, daß diese geschichtlichen Kräfte in geschichtsmannigfaltigen Körpern
aufzufinden ist.
Mimesis, körperliche (und technische Simulation):
Simulation ist unter Bedingungen einer produzierten Welt dasselbe wie Mimesis
unter den Bedingungen der Produktion dieser Welt. Simulation will eine gegebene
Welt ersetzen, Mimesis schafft eine Realität sui generis. Sie ist das Vermögen
der Ahmung, d.h. der menschlichen Maßgabe (von Ohm = Maß), die in einem
zeitlichen Prozeß der Rückkopplung Ausdruck und Verkörperung aufeinander
bezieht und dabei Leben vor-spielt. Insofern Körper durch Maschinen ersetzt werden,
gibt es keine Mimesis mehr, ist Mimesis in Simulation aufgegangen. Das, was
beide in der Zwischenzeit verbindet, ist eine illusionäre Erzeugung von
Wirklichkeit. Mimesis und Simulation kommen in Illusion überein. Das, was sie
trennt, ist der Unterschied von Körpern und Maschinen. Diese Differenz liegt in
der Zeit. Das Verhältnis ist asymmetrisch. Zwar sind Maschinen Rituale, aber
Rituale sind keine Maschinen. – Das Wort Mimesis (gr.) bezeichnet ein Vermögen,
mittels einer körperlichen Geste eine gewünschte Wirkung zu erzielen. Es heißt
nicht Nachahmung, sondern Vorahmung, während Simulation (lat.) das technische
Herstellen von Bildern meint, die einer Realität täuschend ähnlich sehen.
Simulation ist ein nachahmendes Verfahren, eine List des Überlebens. Wenngleich
weiterhin keine triftige Unterscheidung zwischen M. und S. gegeben ist, kann
man doch feststellen, daß M. auf Differenz hinausläuft, S. auf Identität. Körperliche
Mimesis kann verstanden werden als ein Restbestand archaischer Möglichkeiten,
der es erlaubt, Täuschung als Täuschung zu diskriminieren. Simulation will
hingegen eine künstliche Doublette herstellen, die sich nicht unterscheiden
soll vom Orginal. Je weniger „Eigenpräsenz“ des Abbilds als Abbild, desto
besser die Simulation. Daraus folgt, daß sie umso besser funktioniert, je
weniger sie weiß, was sie tut. Simulation verläuft in Automation. Sie ist
wesentlich technisch organisiert und gehört dem sekundären Unbewußten an, das
insgesamt Kultur heißt. Mimesis hingegen gehört zur Kunst, die das Ähnliche als Ähnliches setzt, die Fiktion als Fiktion betreibt und die Illusion als Illusion inszeniert. Simulation qua
Nachahmung betrifft die natura naturata, Mimesis qua Vorahmung arbeitet nach
dem Muster der natura naturans. Simulation ist mit Räumen konfrontiert, Mimesis
vollzieht sich in der Zeit: darin liegt die Hoffnung, daß ein Rückweg vom Bild
zur Sprache, ein Rückweg vom Raum zur Zeit, die ihn öffnet, möglich bleibt, sei
es um den Preis des weitesten Bogens, den die menschlichen Körper in der Zeit zurücklegen
können.
Mitteilung: Neben den Begriffen
Information und Verstehen die dritte Komponente einer vollständigen Erfassung
des Kommunikationsbegriffs; noch Garantie dafür, daß „Zeichenaustausch“ eine
soziale Veranstaltung ist, d.h. durch die strukturelle Ozillation zwischen der
Mitteilung der Information und der Information der Mitteilung eine kommunikative
Einheit potentiell unabschließbar macht. Je weniger die Sozialdimension des
Mitteilens als informierende Komponente der Kommunikation gilt, desto
maßgebender wird die Sachdimension der Information für die Aufrechterhaltung
der Kommunikation; bis hin zum Kollaps resp. zum Ekel vorm Kommunizieren
(Adorno). – In der Mitteilung allein kann das Unvorhergesehene, das nicht schon
Informierte, das sich in der Gegenwärtigkeit Ergebende passieren; ein Eindruck
wird nicht hergestellt, daß, wenn mitgeteilt wird, nichts hergestellt wird, sondern
etwas wiedergebenen (das ist abstrakte Kommunikation), sondern vielmehr wird
mitgeteilt, daß das, was mitgeteilt wird, im Mitteilen hergestellt wird.
Massenmedienvermittelte Kommunikation reduziert systematisch das Mitteilen und
damit die Kommunikation in ihrer performativen, ereignis- und zeitsensitiven Gestalt.
Multimedia: Digitale Integration
unterschiedlichster Medien in ein Gerät oder auf ein Trägermedium, wobei der
Benutzer auf die einzelnen Medien wahlfrei zugreifen kann. Unterschieden wird
additives und integratives Multimedia.
Programme: (gr.-lat.:
schriftliche Bekanntmachung; Tagesordnung) Programme gelten als inhaltliche
Vorgaben für codegeführte Operationen physikalischer, biologischer, psychischer
und sozialer Systeme/ Organisationen/ Maschinen. Sie dienen der Zuweisung sinnhafter
Ereignisse zu positiven Codewerten (etwa: Gesetze des Rechts, Theorien/
Methoden der Wissenschaft, Budgets der Wirtschaft, Unterhaltung/ Information/
Werbung der Massenmedien. Je stabiler, invarianter und rigider ein System-Code,
desto pluraler die komplementär zum Code einsetzbaren Programme. Massenmediale
Programme haben nichts von einer in die Zukunft weisenden Programmatik, sondern
sind umgekehrt Kasernierungsformen, die zukünftige Gegenwarten zeitlich in der
gegenwärtigen Gegenwart festmachen.
reality fiktion: Fiktionalisierung der
Wirklichkeit; meint den Tatbestand, daß Medien nicht mehr nur auf Wirklichkeit
reagieren oder Wirklichkeit reportieren, sondern selbst Wirklichkeit schaffen
in dem Maße, wie sie nicht mehr nur ein Mittel in der Gesellschaft sind, um
über Gesellschaft zu kommunizieren, sondern selbst Gesellschaft werden
(Beispiele: Entwicklungen in einer Fernseh-Serie werden zu Nachrichten der ersten
Seite von Zeitungen; RTL-Werbung für die eigenen Nachrichtensendungen:
zielgruppenspezifische Ansprache nicht mehr des ‚Bürgers’, sondern des spezifizierbaren
Fernsehn-Konsumenten).
realtime: Eine Form der
Datenverarbeitung, bei der die Ergebnisse eines Verarbeitungsauftrages innerhalb
sehr enger zeitlicher Grenzen (Milli-Sekunden) verfügbar sein müssen. Es
besteht eine grundlegende Unvereinbarkeit zwischen Echtzeit und der
symbolischen Regel des Tausches. Letzteres funktioniert nur durch indirekte
Interaktion. Es ist gerade die Zeit, welche die zwei symbolischen Momente voneinander
trennt und ihre Auflösung verzögert. Echtzeit-Kommunikation scheint die langersehnte
Realisation des Denkens zu sein, vollständig materialisiert durch die
unaufhörliche Interaktion aller Virtualitäten in Analyse, Synthese und Berechnung.
Echtzeit ist die technologisch sich materialisierende reelle Subsumption des ungewissen
Sich-Ereignens unter die Gegenwart des Schon-Passierten.
Referenz: Meint, daß das Zeichen in seinem Aufbau
verschiedene Beziehungen einschliesst, die sich in drei disjunkte Mengen
einteilen lassen: 1. Beziehungen zu anderen Zeichen, die den strukturellen Aufbau
des Zeichens ausmachen, 2. Beziehungen zu Objekten, die die Referenzen von
Zeichen zu Dingen der Aussenwelt festlegen, und 3. Beziehungen zu Subjekten
respektive Interpretierern, worin die kommunikative Wirkung des Zeichens zum
Ausdruck kommt. Diese drei Beziehungsarten vertreten je eine der drei
Dimensionen, die dem Zeichen innewohnen, nämlich die syntaktische, die semantische
und die pragmatische Dimension. Diese drei Dimensionen werden oft in kanonischer
Weise miteinander verbunden gesehen, so daß keine von den anderen beiden abgeleitet
werden kann, aber erst alle drei zusammen eine Semiose ermöglichen und damit
das Zeichen als solches ausmachen.
Schnittstelle: Gilt in der
Datenverarbeitung als Bezeichnung für eine Stelle, an der zwei Anlageteile zusammengeschaltet
sind und deren genormter technischer Aufbau die Übertragung von Daten zwischen
diesen Teilen ermöglicht, z.B. zwischen der Zentraleinheit und den
Peripheriegeräten oder zwischen Techenwerk und Arbeitsspeicher eines Computers.
Schnittstelle meint also eher Verknüpfungs- und Anschlußstelle. – Im Wortsinne
dagegen meint Schnittstelle die Hypothese der Auffindbarkeit von Schnitten,
Wunden, Narben am menschlichen Körper, die als Indizien dafür gelten können,
daß das Eskamotieren des menschlichen Körpers in und mittels abstraktifizierter
Gesellschaften nicht spur- und reibungslos passiert; der zugerichtete Körper
als nichteliminierter „Ort“ der Erinnerung an und der Rekonstruktion der
immensen Kosten der abendländischen Geschichte, deren Teleonomie die radikale
erinnerungslose Befreiung von jeglicher deixisabhängigen, verletz- und
sterblichen Körperlichkeit sein könnte.
Simulation: Der Begriff
Simulation wird nach der VDI-Richtlinie 3633 folgendermaßen definiert. „Simulation
ist das Nachbilden eines Systems mit seinen dynamischen Prozessen in einem
experimentierfähigen Modell, um zu Erkenntnissen zu gelangen, die auf die Wirklichkeit
übertragbar sind.“ Folgende Simulationstechnologien besitzen für produzierende
Unternehmen und Engineering-Dienstleister die größte Bedeutung:
Ablaufsimulation, Grafische 3D-Simulation, FEM-Simulation und Mehrkörpersimulation.
Ziel der Abbildung eines realen Sachverhalts mittels einer mathematischen
Theorie ist die Entwicklung eines möglichst einfachen, innerhalb abgesteckter
Grenzen gültigen Modells. Es gibt kein perfektes Modell in dem Sinne, daß
sämtliche Parameter des realen Systems Berücksichtigung finden. Das
Experimentieren mit einem Modell heißt Simulation. – Nach Baudrillard
dissimuliert sich die nichttechnisch verstandene Simulation abstrakter
Gesellschaften mittels des Einsatzes von Realität. Nach einer historischen
‚Eskalation’ simulativer Praxen entlang der Vortäuschung, Ersetzung, Auflösung
und Löschung von Realität wird diese zu einer mit sich identischen Realität
realer Simulation; die Unterscheidungkraft von Unterscheidungen geht verloren.
Nicht das ein Politiker lügt, ist das Problem im Zeitalter der Simulation, sondern
das er glaubt, was er sagt, wenn er lügt, und daß das Gesagte das einzige ist,
was für ihn zählt, und daß er weiß, daß es schließlich außerhalb der
machtgestützen Sage überhaupt nichts anderes gibt. Die Baudrillardsche Mühe
manifestierte sich in einer angestrebten Subversion. Nicht mehr Kritik am
Falschen (mit dem Festhalten an der Differenz von Wahrheit und Lüge), sondern
Übertreibung der Alternativlosigkeit, eine Strategie des Scheins sollte die
Lösung des Banns bewirken. Auch der Schein hat kein Gegenteil, wie die Simulation
auf den Stufen zwei und drei (siehe weiter oben unter Dissimulation). Aber die
artifizielle Herstellung von Fiktionen, von Imaginationen, von Schein als
Schein kommt zu spät. Die politische Wirklichkeit ist in der Selbstdemaskierung
immer schon besser als jede Absicht. Ein bestimmter Punkt ist im Zeitalter der
Simulation kollektiv überschritten: Niemand kann mehr definitiv unterscheiden,
ob eine Lüge eine Lüge ist, ob ein Ereignis wirklich stattgefunden hat ode
nicht, ob eine Nachricht erfunden oder zutreffend ist, ob die individuellen
Produktivkräfte des Menschen: Glaube, Liebe, Hoffnung, Einbildungen darstellen
oder wahr sind. Auch der Wahn ist produktiv, nicht nur die Macht. Die einzige
Chance in diesem Zusammenhang besteht in dem Aufspüren der Gesetzmässigkeiten der
Simulation, die einen offenbar harten Duktus angenommen hat. Die Wirklichkeit
der Bilder, noch vor einigen Jahrzehnten als Antidot gegen die unaufhaltsame
Entfernung der Menschen gepriesen, führt heute einen Tod im Schilde. Das
schrankenlose Imaginäre verzehrt alle Bindungen und stellt sich nach und nach
als Todeszone heraus, als selbstgemachtes hyperkomplexes Labyrinth. Deshalb ist
es unzureichend, die Simulation lediglich deskriptiv oder logisch zu analysieren,
wie Friedrich Kittler es neuerdings unternimmt. Er bringt sie in den
Zusammenhang einer binären Codierung der Welt: Affirmation heißt Bejahen, was
ist. Negation heißt verneinen, was nicht ist. Simulation ist dagegen über Kreuz
geschaltet: Sie bejaht, was nicht ist, und eröffnet so enen Freiraum. Vergessen
wird dabei, daß die Simulation die Bilder braucht und daß an allen Bildern
Sterbegeschichten haften. Simulation heißt, so betrachtet, Rückzug in eine neue
Innerlichkeit; sie ist Mischeffekt aus Verunsicherung und Sicherheitsstreben.
Dummheit als eine der labyrinthischen Verwirrung entgegengesetzte, beschränkte
Sicht der Dinge geht gewissermaßen auf ‚Nummer Sicher’. Komplexitätsreduktion,
soziologisch und politologisch als das Nonplusultra systemadäquaten Verhaltens
propagiert, ist selbst Ursache einer Kette unendlicher Komplexionen. Simulation
als Lösungsansatz für komplexe Probleme steigert unentwegt die Komplexität der
Reduktionen und die Dummheit der Dummheit.
Software: Etwas, was es nach Friedrich Kittler
nicht gibt. Gängig werden unter Software Programme von Computern oder
Computersystemen verstanden, die unabhängig von der Hardware die Eigenschaften
und Funktionen eines Computers bestimmen. Mithilfe von Software (System- und
Anwendersoftware) kann jeder Computer zu einer virtuellen Maschine werden, d.h.
Computer A kann Computer B simulieren (dessen Eigenschaften nachahmen);
heutzutage werden auf Computern auch sog. neuronale Netze simuliert, deren Hauptmerkmal
es ist, ohne Software zu funktionieren.
Telematik: Die Möglichkeit
elektronischer Nachrichtenübertragung hängt wesentlich davon ab, daß Sende- und
Empfangsvorgänge in den Geräten mit der Übertragungs- und Vermittlungstechnik
abgestimmt sind. Dies wurde durch die Verbindung der Datenverarbeitungstechnik
(Mikroelektronik) oder Informatik mit der Nachrichtentechnik
(Telekommunikation) möglich. Telematik ist ein Kunstwort aus Telekommunikation und Informatik. (Ebenso aus franz. Telecommunication und Automatique: Wenn Endgeräte aufgrund vorher
gegebener Steuerbefehle den Sende- und Empfangsvorgang selbständig ausführen
und wenn in der Vermittlungstelle die Verbindungen automatisch hergestellt werden;
automatische Nachrichtenübertragung). Telematik ist der eigentliche Oppositionsbegriff
zur menschlichen Kommunikation.
Virtualität: Der Begriff Virtualität
verdankt sich dem lateinischen Begriff vis (Kraft, Energie, Inhalt, Bedeutung,
bedeutet aber auch: Gewalttat, Vergewaltigung, Bedrängnis). Der Oberbegriff des
Gewaltopfers heißt immer Lebewesen. Mit vis ist das Wort vir verwandt (Mann, Werwolf,
Soldat, Liebhaber, Held); daraus wiederum leiten sich ab virtus (Tatkraft,
Tugend) und virgo (Jungfrau). Die Virtualität ist zwar keine Junggesellenmaschinerie
mehr, aber sie führt wie in einem Exzeß des Bourgois deren Tradition fort
(siehe auch die durch maschinelle Virtualität ermöglichte Produktion von Computerviren).
Entrückt sich die vis mit der technologischen Realisierung der „verkehrten
Welt“ (Marx) bürgerlicher Tagträume in den virtuellen Raum und betreibt dabei
ein Grufti-Spiel der verbrannten Erde? Virtualität ist keine neue Eigenschaft
der elektronischen Vergesellschaftung, wenngleich sie hier die anschaulichste
Gestalt anzunehmen scheint. Sie beginnt schon da, wo alter eine
Erfahrung Egos (etwa der Verknüpfung von Eigenschaften verschiedener Materialien)
übernehmen kann, ohne selbst die Erfahrung machen zu müssen. Von Seiten der
Religionsgeschichte steht die Figur des körperlosen Engels resp. die Figur des
unter seiner Körperlichkeit leidenden Anachoreten fürs Virtuelle. Virtuelle
Körperlichkeit, im Sinne eines Körpers, der in den immateriellen Welten des
Cyberspace beheimatet ist, scheint ein Widerspruch in sich zu sein. Denn die Materie
des Körpers, sein Fleisch und Blut liegt quer zu den a-stofflichen Welten der
Bits und Bytes. Dennoch begegnet man auf den Streifzügen durch die Netzwelten
oder beim Blick in die computersimulierten, dreidimensionalen virtuellen
Realitäten ‚Körperfragmenten’. Diese werden nicht aufgrund materieller
Qualitäten als solche wahrgenommen, sondern in erster Linie weil sie
funktionale sowie hauptsächlich soziale Aspekte des „realen“ Körpers im Cyberspace
reproduzieren. Neben der Bewegungs- und Raumfunktionalität, die auch in
virtuellen Umwelten Orientierung, Navigation und Interaktion erst ermöglicht,
konstituiert sich virtuelle Körperlichkeit durch die Sprache des Körpers, seine
Eigenschaft als Signifikant sowie als Grundlage von Werten und Normen. Es sind
dies vor allem Aspekte sozialer Körperlichkeit, die auch in den immateriellen
Welten des Cyberspace existieren und letztlich virtuelle Körperlichkeit aus der
Taufe heben. Durch die Differenz eines materiellen und immateriellen Körpers
wird in der Folge ein Potential der Infragestellung unseres bisherigen Verständnisses
des Körpers eröffnet.
Wahrnehmung: Ästhetische Wahrnehmung
heißt zweimal dasselbe: aisthesis, war-nemen. Das meint das Spüren in der
Doppelspur des Anderen und der Zeit. Das meint zugleich eine Offenheit für das
Fremde und ein Angewiesensein auf ein nicht-definierbares Außen. Das Thema wird
virulent erst im zwanzigsten Jahrhundert und entstammt einer Gegenbewegung
gegen die Vergeistigung. Das Denken – so heißt es – erschöpft sich nicht in
einer endlos ewigen Selbstbezüglichkeit des Begriffs, sondern bleibt lebendig
durch das Viele und das Vielfältige der materiellen Dinge. Die Richtung, die
die Wahrnehmung nimmt, ist allerdings unabsehbar. In einer weitgehend abstrakt
gewordenen Welt geht es wahrnehmend um Ausbruch, mindestens ums Brechen der geschlossenen
Horizonte einer geistigen Immanenz. Deshalb ist Wahrnehmung nicht im Sinne
einer Aufrechnung der noch existierenden lebensweltlich bedeutsamen Wahrnehmungsfähigkeiten
zu behandeln, sondern in der Form einer „Kriegsberichterstattung“. Wahrnehmung,
die auch in Betracht ihrer selbst ausschlaggebend ist, hat die Struktur eines
Chiasmas; sie wurzelt in Endlichkeit; sie verfährt zutiefst leidenschaftlich
(und also a-logisch) und sie bleibt diskontinuierlich. In den Versuchen, sie im
Gegenlauf zur simplen Definition auf komplexe Weise darzustellen, fällt immer
wieder das Bestreben auf, eine Problemstruktur zu beschreiben, an der das
herkömmliche Denken scheitert. Die begleitende Annahme jedoch, daß ein
Scheitern der Theorie der Wahrnehmung aufhilft, ist nicht zwingend. Sie ist
lediglich der Ausleger eines anderen Spiels, wie es am Ende des zwanzigsten
Jahrhunderts den sensiblen Zeitgenossen vorschwebt, um die Angst vor der Angst
zu verlieren. Das Spiel heißt: die Vollendung des ehemals universalen Denkens
in einem Autismus des Geistes zu hintertreiben. – Wahrnehmung, obwohl doppelt
pointiert: passiv und aktiv, soll entgegen der seit Kant üblichen Übertreibung
des Konstruktiven, Spontanen, Aktiven in der Beherrschung dessen, was es gibt,
als Leidenschaft, als Leiden an der überwältigenden Welt, ausgewiesen werden.
Dabei wird der Wortsinn in Anspruch genommen, der eine doppelte Bedeutung
festhält, nämlich Achtgeben und Achtung haben, Gefahren blitzschnell begreifen
können und der Verehrung fähig sein. Damit strukturiert die Wahrnehmung eine
der fundamentalen Außenbeziehungen der Menschen, wie etwa die Einbildungskraft
eine fundamentale Innenbeziehung des Menschen darstellt. Trotz aller Willfährigkeit
im Horizont der Annahme eines durchgehenden Konstruktivismus ist Wahrnehmung,
besonders ästhetische Wahrnehmung, nicht konstruktiv zu vereinnahmen, sondern
enthält ein in der Hauptsache sperriges Moment, das die Angewiesenheit,
möglicherweise das Ausgeliefertsein der menschlichen Sinne ausmacht. Wahrnehmung,
aisthesis, ist das Andere des Bewußtseins. Insofern wird viel darauf ankommen,
die Differenz beider so klar wie möglich herauszustellen. Es gibt bewußte und
unbewußte Wahrnehmung, und es ist der unbewußte Anteil, der sich zu einer
Bedrohung des Bewußtseins für den Fall seiner Abgeschlossenheit auswachsen
kann. Wahrnehmung ist keine im engeren
Sinne geistige Tätigkeit, sondern eine Passion des Körpers. Sie rührt an
den Schmerz und funktioniert umso besser, je näher sie sich am Leiden situiert.
Doch ist dies kein Einwand gegen eine Grundfassung der Wahrnehmung als Leidenschaft.
Wahrnehmung, aisthesis, ist eine Art KörperDenken, das sich des Anderen und der
Zeit bedürftig weiß. Es ist einerseits Parteinahme für das Materielle der
Dinge, andererseits Tribut an die Sterblichkeit. Diese Doppelfunktion, nämlich
radikal-materiell-körperlich und radikal-historisch-zeitlich zu sein, öffnet
ein weites Feld für Belege. Das geht von der überwältigenden visionären Erfahrung
bis zur Meditation von Bildern und Kunst, von der Neusituierung fundamentaler
Metaphern im Bereich der Literatur bis zur alltäglichen Schockerfahrung. Ein
Rückgang zu den transzendentalen Bedingungen des lebendigen Anderen ist erforderlich,
um jene von Hegel prophezeite Selbstbefriedigung des Geistes in einer leeren
Wiederholung bloßer Schemata hintergehen zu können. Allerdings gerät man auch
so in das ‚Herzzerreißende der Dinge’. Die Fähigkeit der Wahrnehmung, sich
selbst zu achten und das Außen als Gefahr wahrnehmen zu können, ist derzeit mit
einer umgekehrten Situation konfrontiert. Die Gefahr kommt von innen, daß Außen
ist aller Verehrung wert. Einerseits eine Selbstverschließung im Imaginären,
andererseits ein Zusammenbruch aller Brücken zum Anderen, bietet die aktuelle Situation
eine Herausforderung, die mit Denken und Handeln allein nicht mehr bestanden
werden kann. Erst die Wahrnehmung des kategorial gekreuzigten Selbst würde es
ermöglichen, vom Kreuz des Denkens herabzusteigen und sich denkend auch endlich
am Leben zu beteiligen. Erst die Entdeckung des Monströswerdens des Geistes
sichert dem Körper – und damit dem Außen – eine Chance der Aufmerksamkeit, eine
Aufmerksamkeit, die in der Rezeption massenmedialer Zeichen (Bilder, Texte,
Anzeichen) nicht mehr erreicht zu werden vermag, zumindest solange nicht, wie
Zeichen nicht als Dinge behandelt werden.
Wiederholung: Grundart der zeitlichen Bewegung, in der
Umläufe diverser Rhythmen nach identischem Muster verzeichnet werden können;
faßt engere (tägliche, wöchentliche etc.) und weitere Zeitspannen (jährliche,
jahrhundertelange etc.) zusammen und ist der Beschleunigung und der Verlangsamung
fähig. Wiederholungen können auch im Leerlauf geschehen (Repetition) oder
erfüllt sein (Renovation). – Wäre irgendeine Wiederholung vollständig, so
könnte sie niemals mehr zu Ende gehen; wenn nichts wiederholbar wäre, könnte
nichts verstanden werden. Massenmedien, die über eine mediensystemspezifische
Formierung der Information prozessieren (exponentieller Verbrauch von
Informationen), ozillieren gegenwärtig immer heftiger zwischen dem Drang, sich
vollständig zu wiederholen (expliziter Selbstbezug des Mediums in den durch sie
transportierten Botschaften; das, was bei McLuhan noch als Implikat galt,
nämlich: „Das Medium ist die Botschaft“,
wird nun praktisch und operationabel) und damit in einer nicht mehr hermeneutisch
aufschließbaren Hermetik zu landen, und andererseits dem Drang, in einen Verbreitungsüberschlag von
Informationen einzugehen, der sich immer weiter von Verstehen ablöst. –
Enzensbergers Rat, hier die Bedingungen zur Ermöglichung einer westlichen
Meditationspraxis zu orten, scheint zu optimistisch angesetzt.
Zeit: (gehört im Sinne von Abgeteiltes,
Abschnitt zu der idg. Wurzel dā[i] „teilen; zerschneiden; zerreißen“; auch
wahrscheinlich enge Verbindungen zu den Worten Zeile und Ziel.) Wie kommt man weg von der These, daß das Dasein
in seiner äußersten ‚Seinsmöglichkeit’' die Zeit selbst ist?; wie von der
anderen These, daß erst Zukünftigsein Zeit gibt, Gegenwart ausbildet und
Vergangenheit im Wie ihres Gelebtseins wiederholen läßt?; und wie von der Grundannahme,
daß das Grundphänomen der Zeit Zukunft ist? Was passiert mit dem Selbst als
Anschlußgarantie ans Dasein, wenn das Ansichtigwerden der unheimlichen Zeit
nicht mehr dadurch verdrängt werden kann, indem man Zeit in die schlechte
Gegenwart des Alltags wirft (Heidegger) und also keine Zeit hat? Was passiert,
wenn die schlechte Gegenwart des Alltags in die Unheimlichkeit der Zeit
geworfen wird? Und endlich: Was passiert, wenn man davon ausgeht, daß nicht nur
alle Ökonomie sich auflöst in eine Ökonomie der Zeit (so der bekannte Satz aus
Marxens Grundrisse), sondern auch alle auf Identität hin ausgerichtete
Reflexion? Auf diese Probleme lassen sich immer noch die Formen des
massenmedialen Zeitumgangs und -verbrauchs rückbeziehen. Massen- und
mittlerweile auch Individualmedien haben ein sehr zwiespältiges Verhältnis zur
Zeit: Sie müssen zeitgleich Zeit vernichten und leere Zeit füllen. Sie bedienen
sich dafür jedoch der einfachsten Zeitform, der chronologischen, für die
kodexhafte Zeitformate zur Verfügung gestellt werden, an denen sich spezielle
Inhalte beinahe sklavenhaft zu binden haben. Die fehlende Ereignishaftigkeit
des Erfahrens von Medieninhalten, die durch eine immer perfektere Bildhaftigkeit
von Ereignissen substituiert wird und sukzessiv als fehlende unerinnerbar gemacht
werden soll, wird zudem kompensiert durch technische Inszenierungen von
Zeitgleichzeitigkeit (online, live-Sendungen) sowie durch die willkürliche
Verfügbarkeit von Medienzeit durch den Konsumenten (Speicherung). Erfahrene Zeit, die struktuell immer
unmöglicher wird, mutiert zu einer durchfahrenen,
also beschleunigten Zeit. – Die Auswirkungen auf die individuellen und
gesellschaftlichen Dosierungsverhältnisse von Erinnerung, Vergessen und (Geistes-)
Gegenwart sind durch die Homogenisierung der noch diversen Zeiten von
Erfahrungsformen nicht abzusehen und bedürfen wohl der nächsten Generationen.