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Aufgefundene Fragmente für die Erstellung eines Businessplanes im Rahmen der Beantragung einer „Ich-AG“ bei der Arbeitsagentur Mannheim von Johann Friedrich Schiller

Bernd Ternes

 

Bemerkung: Folgende Textfragmente geben sehr wahrscheinlich die erste, kaum ausgearbeitete Fassung wieder, die Friedrich Schiller für die Erstellung eines Businessplanes anfertigte. Die in Klammern gesetzten Auslassungszeichen [...] markieren Lücken in den Skripten. Notizen des Autors zum Plan sind in den Fußnoten wiedergeben. Die Datierung ist nicht gesichert, wahrscheinlich um November 1784, also über zwei Monate nach seinem letzten regelmäßigen Verdienst als Texter für das Mannheimer Nationaltheater. – So wie Schillers Reise nach Hamburg zum Hamburger „Nationaltheater“ in Weimar endete, so erreichte gleichsam auch dieser Businessplan[1] niemals sein Ziel: die Mannheimer Arbeitsagentur. Schiller verläßt Mannheim am 09.04.1785, dank der finanziellen Hilfe Christian Gottfried Körners.

 

 

Businessplan für die Gründung eines Unternehmens mit dem Namen PRODELECT[2] im Rahmen der ICH-AG-Beantragung

 

Friedrich Schiller, Mannheim

PROJEKT:

Gründung einer TEXT-Agentur auf der Basis unpolitischer bürgerlicher Alltagswelt

Name:

PRODELECT. Agentur für ästhetisches Wachstum[3]

 

Geschäftsplan

Zeitraum 1785 bis 1789

 

1.                     Zusammenfassung

2.                     Produkt/Dienstleistung

3.                     Gründer(-team)

4.                     Marktanalyse

5.                     Marketing

6.                     Unternehmen und Organisation

7.                     Finanzplanung und Finanzierung

 

1)[4] Zusamenfassung

Geschäftsidee der zu gründenden Agentur für ästhetisches Wachstum PRODELECT ist die nachfragespezifische Anfertigung von Romanen und Dramen für eine sich differenzierende Bürgerschaft und eine sich ebenso differenzierende Theaterlandschaft auf der Basis der sich abzeichnenden gesellschaftlichen Tendenz, daß in Deutschland das Ideal der politischen Gleichheit und Emanzipation nur im Reich des ästhetischen Scheins verwirklicht werden wird. Der Vorteil dieser im Markt situierten Produktion von Geschichten, Dramen und Schauerstücken ist im Vergleich zu herkömmlichen Textproduktionen eine Verbilligung und zugleich Diversifizierung des Lektüre- und Schauangebotes für Bürger und Theater, deren Bedarf heutzutage, nach dem Ende der ersten Entwicklungsphase bürgerlicher Öffentlichkeit, durch eine neu beginnende Reprivatisierung des Lesens exponentiell wachsen wird.

Im Vergleich zur bisher üblichen bemühten Originalität und Genialität des Dichters als Selbstreklame und Waffe im Konkurrenzkampf kann die Agentur durch eine gezielte und teamwork-fundierte Analyse des sich entwickelnden ästhetischen Konsums bereits im Vorfeld bestimmte Text-, Zeitschriften-, Dramen- und Roman-Serien anfertigen und damit nicht nur den Markt besetzen, sondern selbst Marktsegmente schaffen – unter der als sicher anzunehmenden Prognose, daß der Anteil der lesefähigen Bevölkerung von derzeit 19 % auf 25 % (spätestens im Jahre 1800) steigen wird.[5] Zugleich kann die Agentur für ästhetisches Wachstum den auslaufenden Theatermodellen „höfisches Theater“ auf der einen und „Pöbeltheater“ auf der anderen Seite ein realisierbares neues Modell anbieten, das poetische Werke der Moral, Ästhetik und Unterhaltung nun in anspruchsvoller Popularität zu zeigen vermag. Damit kommt PRODELECT einer wachsenden Nachfrage nach aufklärender Unterhaltung nach und kann sich als Marke für die entstehenden Nationaltheater etablieren.

In Deutschland bestehen zur Zeit zirka 320 Lesegemeinschaften (Tendenz steigend: Kulturentwicklungsprognosen gehen von etwa 430 Gemeinschaften im Jahre 1800 aus). Die Gründung und Nutzung von öffentlichen und kommerziellen Leihbibliotheken steigt ebenfalls prognostisch um zirka 10 % p.a. Gleiches an Wachstumsraten gilt für den modernen Buchkonditions- und Kommissionshandel (Verlags-, Sortiment- und Buchhandlungswesen inclusive der Kolporteure[6]). Zur Zeit versuchen etwa 2000 der derzeit etwa 7500 Autoren vom Ertrag ihrer schriftstellerischen Arbeit zu leben. Diese Entwicklungen ineins mit den Erfahrungen marktunsensibler Lösungen (Dessauer Gelehrtenbuchhandlung[7]) weisen die Agentur PRODELECT in der Rechtsform einer GmbH aus als zukunftsträchtiges Wirtschaftsmodell.

Das Team der Agentur setzt sich aus Charlotte von Kalb, Christian Gottfried Körner und Andreas Streicher zusammen.[8] [...]

 

2) Produkt/ Dienstleistung

 

2.1 Produktprofil

Die Serienproduktion von Geschichten, Dramen, Romanen und Gedichten basiert auf einer Weiterentwicklung der Gottsched-DKIN.[9] Ihre Ausrichtung ist die kundenorientierte und modulisierbare Dosierung von Empfindungseffekten dichterischer Produkte entlang der Effektkategorien

a)                     Preisung der Wohltaten Gottes

b)                    Tröstung der Traurigen

c)                    Belehrung der Unwissenden

d)                    Stärkung der Zaghaften

e)                     Schmerzlinderung der von Trübsal Befallenen

f)                      Versüßung des Todes.[10]

 

Aufgrund des Serienproduktionsverfahrens reduziert sich das Honorar pro Textbogen von derzeit 5 bis 7 Talern auf 2 bis 3 Taler. Das Einzelprodukt (Buch, Zeitschrift, Schauspiel) ist dadurch im Vergleich zum herkömmlichen Produkt erheblich kostengünstiger zu erwerben. Gleichsam wird die ermäßigte Rendite pro einzelner Ware durch den quantitativ stark maximierten Umsatz ob erhöhter Stückzahl mehr als kompensiert[11]. Die Rechte der Wiederverwendung liegen bei der Agentur und den Textern.[12]

 

2.2. Wo ist das Produkt einsetzbar?

Einsetzbar ist das Produkt resp. die Produktpalette in den bürgerlichkeitsaffin-aristokratischen, in den kaufmännischen, den bürokratisch-beamtlichen und den kleinbürgerlichen Bevölkerungsschichten sowie in Teilen der sich wandelnden Unterschicht des Volkes. Placierbar sind die Produkte zudem in den sich ausbreitenden Lesegemeinschaften und Lesezirkeln, den Bibliotheken und den im Wachstum begriffenen Theaterstätten, die auf der Grundlage antifeudaler Programmatik eine erhebliche Verantwortung für Bildung und Erziehung der Bevölkerung wahrzunehmen haben. Weitere Einsatzorte sind Schulen, Akademien und das Militär.

 

2.3. Welche Produktgarantien erwartet der Kunde?

Folgt man den Buchmarktanalysen, dann steigt die Buchproduktion bis zum Jahr 1800 auf eine Jahresproduktion von zirka 2600 Titeln (zum Vergleich: 755 Titel im Jahre 1740). In dieser Unübersichtlichkeit bietet die Agentur Textprodukte mit einem klaren Branding, einer hohen Wiedererkennbar- und Erwartbarkeit. Durch die anvisierte hohe Auflage der jeweiligen Segmente ist zudem eine hohe Bekanntheit und damit Kommunizierbarkeit gewährleistet. Ebenfalls ist das Risiko möglicher Zensur unserer Produkte ausgeschlossen, da die Stoßrichtung der Agentur auf Kompatibilität mit der herrschenden Meinung betreffs notwendiger Gesellschaftsveränderungen ausgerichtet ist. Das gilt insbesondere für die Text-Abdeckung des „Pöbeltheater“- und Unterschichtensegments sowie der Bauern[13].

 

2.4 Wer ist die Zielgruppe?

[...][14]

2.5 Gibt es Wettbewerberprodukte?

[...]

2.6 Warum wurde die Geschäftsidee bisher noch nicht realisiert?

[...][15]

 

2.11 Welche Nachteile hat das Produkt?

Nachteile des Produkts sind nur in langfristiger Perspektive mit geringer Wahrscheinlichkeit zu konstatieren. Wobei nicht kausal argumentiert werden kann. Durch die Stärkung des ästhetischen und nicht des politischen Wachstums des Volkes kann als Nebenwirkung das verspätete Eintreten der Tonos-Figur ‚Nation’ möglich sein. Das hängt allerdings davon ab, ob die Deutschen noch zu einer Kolonialmacht werden oder nicht....[16]

 

3) Gründer(-team)

[...][17]

 

4) Marktanalyse

 

4.1 Marktpotential

Kompetente Marktanalysen (u.a. durch den erfolgreichen Mannheimer Verleger Schwan) gehen für die Jahre 85/86 von einer maximal realisierbaren Produktstückzahl von zirka 10 000 Endverbrauchern aus (gesplittet in Zeitschriftenleser, Theaterbesucher, Buchleser). Bis 1789 dürfte das Potential auf zirka 30 000 Endkonsumenten steigen, unter der sehr wahrscheinlichen Aufrechterhaltung der generellen politischen Ordnung. Die Entstehung eines genuin bürgerlichen Gesellschaftsplateaus ist kulturell bereits akzeptiert.[18] [...]

 

4.2 Wettbewerber

[...]

 

5) Marketing

 

5.1 Markteinführung

[...]

5.3 Marktpreispositionierung

[...]

5.4 Vertrieb und Werbung

[...]

 

6) Unternehmen und Organisation

 

6.1. Personalstruktur

[...]

6.2 Personelle Konsequenzen bei unerwartet hoher Nachfrage

[...]

6.3 Anforderungen an das Managementinformationssystem

[...][19]

 

7) Finanzplanung und Finanzierung

Die magische Zahl 7. Und was fordert sie? Geld! Leer die Börse, leer die Hoffnung. Und doch dies ewig Anstrengen... daß niemals nur mehr Kraft sich bahne für den letzten Stoß vom Schuldthurm...[20]

 

 



[1] Notiz des Autors: Wielands, Klopstocks und Herders Pläne für die Bildung von Akademien, die später vom Fürstenhof finanziert werden sollen, sind leider gescheitert. Wäre ideal gewesen!

[2] Notiz des Autors: Prodelect meint „Prodesse et delectare“, die etablierte Matrix bürgerlicher Unterhaltungs- und Lernkultur; hat sich bewährt.

[3] Notiz des Autors: Folgende Fragen auswendig lernen: Was ist der Kern der Geschäftsidee? Verfüge ich über die erforderlichen Qualifikationen, um das Unternehmen erfolgreich zu machen? Welchen Nutzen haben die Kunden? Worin liegt die Innovation des Produkts? Wer sind die Zielkunden und wie groß ist das Marktpotential? Welche aktuellen und mittelfristigen Trends kennzeichnen meine Branche? Welche Wettbewerbsvorteile habe ich gegenüber Wettbewerbern (Romantiker)? Wie hoch ist der Kapitalbedarf und wofür soll das Kapital eingesetzt werden? Wann und in welcher Höhe rechne ich mit Gewinnen? Wie hoch wird die Rendite sein (Umsatz p.a./ Gewinn vor Steuern p.a.)?

[4] Notiz des Autors: Noch kürzen und stärker auf Zahlen kommen!!

[5] [siehe Deutsche Literaturgeschichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, von Wolfgang Beutin u.a., Stuttgart 1979, p110.]

[6] [„Fliegender Buchhändler“, der maßgebend die Unterschichten auf dem Lande und in der Stadt mit gedruckten Geschichten versorgt.]

[7] [1781 von mitteldeutschen Autoren als genossenschaftliches Verlagsunternehmen in Dessau gegründet; recht bald Bankrott erlitten.]

[8] Notiz des Autors: Sie hat Beziehungen, er Geld, Andreas ist Freund; noch jeweiliges Kompetenzprofil erstellen!

[9] [DKIN: Deutsche Kultur-Industrie-Norm; bezieht sich hier auf Christoph Gottscheds Standardwerk „Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen“ von 1730.]

[10] [Diese Liste hat Schiller von Gottsched übernommen.]

[11] Notiz des Autors: Es ist doch absurd, daß Lessing für seinen Nathan nur 2000 Subskribenten ergattern konnte!

[12] Notiz des Autors: Das werde hoffentlich nur ich sein.

[13] [Schillers ‚sozialdemokratische’ politische Ästhetik wird konturierter, wenn man bedenkt, daß Rudolph Zacharias Beckers 1788 publiziertes, für antirevolutionäre Propaganda nutzbares „Noth- und Hülfsbüchlein für Bauern“ in den folgenden 23 Jahren eine Auflage von über einer Millionen Exemplare erreichte.]

[14] [Hier hat Schiller nur eine fragmentarische Aufzählung hinterlassen: adlige/ aristokratische Frauen, wohlhabende Kaufmänner mit Bildung, fortschrittliche Höfe (Braunschweig, Altona, Hannover), Zunfthandwerker, Kleinbürger, Schüler, Bauern.... Weiter entfalten! Auf keinen Fall für Gelehrte (G.A.B.) [gemeint ist Gottfried August Bürger]].

[15] Notiz des Autors: Weil nicht nur das Volk noch nicht reif ist für die Politisierung der Gesellschaft, sondern auch die Gelehrten und Dichter noch nicht reif sind für die Kommerzialisierung ihrer psychosozialen Hygiene-Produkte... Noch was einfallen lassen!

[16] [Schillers Einschätzung lag leider richtig. Deutschland kolonisierte kaum fremde Länder, sondern hatte es auf ganz Europa, also auf die ehemaligen Kolonialmächte, abgesehen.]

[17] Notiz des Autors: Vielleicht trotz aller Widerstände doch schon Goethe fragen (nur wegen des Namens!?); verlangt dann aber sicher Provision...

[18] Notiz des Autors: Wie sonst hätte „Die Räuber“ solch einen Erfolg zeitigen können, mit dem Helden Franz Moor als entfesselter Bürger im Konkurrenzkampf und – in generalis – dem Sturm-und-Drang-Held als Unternehmer? [Siehe Claudia Pilling & Diana Schilling & Mirjam Springer: Friedrich Schiller, Reinbek 2002, p17.]

[19] Notiz des Autors: Bei Machiavelli Managementinformationssystem nachlesen!

[20] [Die vermutlich letzte Notiz des Autors im Rahmen seines Businessplanes ist eine Frage: Sollte ich nicht doch Historiker werden?]