Die
Wunde »Frau« (1998)
Bernd Ternes
Man
muß schon längst nicht mehr nur Feminist sein, um für die Beurteilung von
Männern nur noch eine Unterscheidung parat zu haben: Entweder handelt es sich
um ein Arschloch oder um ein freundliches Arschloch (die jeweils eigenen
Freunde immer ausgenommen, versteht sich).
Gewiß
gibt es weitere und feinere Weisen, Männer zu unterscheiden, um
herauszubekommen, was man von ihnen halten kann und was man zu fürchten hat.
Man kann sie in Kategorien einteilen (erfolgreich/versagend, Träumer/Realist);
man kann sie psychologisch einordnen (offen/hart, Durchsetzungskraft/
Einfühlsamkeit); man kann sie phänomenologisch identifizieren
(sympathisch-ironisch/ kalt-bierernst). In der Regel ist man das eine wie das
andere, zwar nicht oder nur selten gleichzeitig, aber oft innerhalb kurzer
Zeitspannen. Maßgebend zur Beurteilung eines Mannes gilt jedoch weiterhin der
Stand beruflicher Karriere, erworbener Reputation qua Leistung, sowie die
Fähigkeit, trotz innerer Emigration, tobendem Zynismus und schleichender
Impotenz freundlich zu bleiben und nicht asozial zu werden im Kampf um
Anerkennung.
Man
kann Männer, die andere Männer innerhalb solcher Margen beurteilen, und Männer,
die solche Margen als Eckpunkte eigener Identifikation nutzen, nicht ernst
nehmen; man darf es auch nicht, will man nicht zu den ganz dummen gehören. Die
ganz dummen Männer sind die, welche ihr berufliche Arbeit und ihren sozialen
Habitus nicht als Ausfluß verstehen können, als Ausfluß entweder eines
leidenschaftlich erotischen oder eines leidenschaftlich melancholischen
Verhältnisses zur »Frau«.
Es
geht dabei nicht um Derivate des Busengrapschers, nicht um moderierten
Chauvinismus, nicht um miefige Liebhaberei, und ebensowenig darum, das mögliche
Aufkommen von Freude im Beruf zu diskreditieren. Sondern darum, ein vielleicht
letztes Weltverhältnis zu umreißen, das es gestattet, daß sich Männer im
täglichen Kampf nicht nur auf immer dumpfere Weise wichtig, sondern ernst
nehmen: nicht als immer brutaler werdende Macher im täglichen Konkurrenzkampf,
sondern als grundlegend von »Frau« angemachte Männer, die noch wissen, was
erfüllt und was nur ausfüllt.
Ernst
nehmen kann man einen Mann nur noch dann, wenn er direkt versteht, was einmal
die Gattin eines gerade vortragenden Professors diesem zurief: "Your ground is
my body". Ernst nehmen
kann man einen Mann nur noch dann, wenn dieser das gebrochene Herz wegen
»Frau«, leidenschaftliche Affairen mit »Frau«,
unglaubliche Sehnsüchte nach »Frau« als wesentliche Zäsuren seiner
Lebensbiographie nennt, nicht aber bestandene Prüfungen, gelungene Projekte,
gewachsene Verantwortungen und neue Stufen der Karriereleiter. Ernstzunehmenden
Männern sieht man an, daß ihnen die Frau Wunde und Wunder zugleich ist; dies
ganz und gar nicht im Sinne der Frau als Heilige (und Hure), sondern im Sinne
des wirklich einzigen Grundes, um das Realitätsprinzip "Gesellschaft"
und den Kampfmodus "Konkurrenz" in Kauf zu nehmen und auszuhalten,
ohne verrückt zu werden oder kurz nach Rente/Pension einfach so wegzusterben
(ein immer noch tabuiertes Thema).
"Alle
Körper sind weiblich", schreibt Dietmar Kamper.
Und: "Jungfräulich sein heißt, sich vom Fleisch zu lösen. Nur Männer
können jungfräulich sein, weil sie Geist sind." - Die zunehmende
Unerträglichkeit des Umgangs im Arbeitsleben könnte neben vielen auch diesen
Grund haben: Daß nämlich neben den eh schon vielen verheirateten und
unverheirateten Junggesellenmaschinen nun die jungfräulichen Männer treten,
denen die geforderte/erreichte Leistung näher ist als ihre eigene Leiste. Hier
ist Hilfe zwecklos, es sei denn, man sieht Alkoholismus, Depression und
Herzinfarkt als Therapeutika an.
Männern,
die davor gefeit sind, die also vor allen anderen Attributen permanent von
Frauen angezogene Männer sind, kann man indes nur eines vorwerfen: Daß sie
rigide Diskriminieren zwischen schönen und unschönen Frauen. Dennoch:
Ernstzunehmen sind nur sie, die sich der Arbeit bloß her-, aber der »Frau«
hingeben, wie erfüllt und unerfüllt auch immer.
–
Leider werden die Frauen weniger, die solche ernstzunehmenden Männer
ernstnehmen. Sieger haben Gründe, Pläne und Geschichte, Verlierer nur ihre
Körper. Die Wunde »Mann« könnte für Frauen nur der verwundete männliche Körper
sein: und der wurde bisher nur gepflegt, aber nie geliebt.